ALAIN DE BOTON

«Wir wählen alle die falschen Partner»

«Der Lauf der Liebe», der psychologische Ratgeber in Romanform des populären britisch-schweizerischen Philosophen Alain de Botton, plädiert für mehr Realismus und Toleranz statt Romantik in unseren Beziehungen. Nicht neu, aber beherzigenswert.

In einer Zeit abnehmender Religiosität wenden sich viele orientierungssuchende Menschen an die Philosophie und Psychologie. Alain de Botton (46), beherrscht beide Sparten,  dazu die Kunst, abstrakte Erkenntnisse leicht fassbar zu formulieren und eingängig zu illustrieren. Daraus hat er ein Geschäft gemacht: mit seinen in viele Sprachen übersetzten Bestsellern und mit seiner in London domizilierten, aber weltweit erfolgreichen «School of Life», die «kluge Ideen für ein gutes Leben» verspricht.

In seinem neusten Buch «Der Lauf der Liebe» wagt er sich an ein Thema, an dem sich schon Heerscharen von Therapeuten die Zähne ausgebissen haben: Weshalb scheitern so viele mit echten Gefühlen und grossen Hoffnungen begonnene Beziehungen? Seine These ist radikal: «Die Ehe sollte man niemandem antun, den man angeblich liebt. Sich dafür zu entscheiden, ist eine Frage, welche Art von Leiden man aushalten will.» Was so provokativ zynisch klingt, ist die Aufforderung zum Nachdenken, weshalb eine Ehe vom Himmel zur Hölle werden kann und wie sich das – vielleicht – vermeiden liesse.

Lebensnahe Beziehungsgeschichte
Zur Illustration dient die fiktive zehnjährige Beziehungsgeschichte von Rahib und Kirsten. Er ist ein mässig erfolgreicher Architekt libanesisch-deutscher Herkunft, sie eine tüchtige Schottin. Angezogen von ihren Gegensätzen und auf der Flucht vor der Einsamkeit verlieben sie sich und heiraten. Um sich schon bald an ihren unterschiedlichen Erwartungen zu reiben, die sie nicht benennen können. Das übernimmt der Autor in zwischen die Episoden geschobenen psychologischen Analysen.

Seine Grundthese lautet: Wir kranken alle an der aus der Romantik stammenden Vorstellung von der mythischen Vereinigung zweier verwandter Seelen, die von Romanen und Filmen weiter verbreitet wird. Wir erwarten, wer uns liebe, müsste uns wortlos verstehen und alle unsere geheimen Bedürfnisse erfüllen. Insofern haben wir alle den falschen Partner gewählt, denn niemand ist diesem Perfektionsanspruch gewachsen. Mehr Realismus wäre gefragt und mehr Toleranz.

In einem Interview sagt de Botton: «Wir Erwachsene sollten miteinander umgehen wie mit unseren Kindern: Wenn die uns ärgern, lehnen wir sie nicht einfach ab, sondern suchen verständnisvolle Erklärungen für ihr missliebiges Verhalten.» Mehr als die zwar lebensnahe, aber doch etwas deprimierende Beziehungsgeschichte lohnen solch praktische Ratschläge die Lektüre. Sie sind zwar meist nicht neu, aber beherzigenswert und in ihrer leicht ironischen Ueberspitzung oft amüsant. So dass man jedem Paar empfehlen müsste, diesen ungewöhnlichen Ratgeber gemeinsam zu lesen, um sich darin schmunzelnd zu erkennen.

Marie-Louise Zimmermann