HELGE TIMMERBERG

Alter schützt vor gar nichts

Er ist das „enfant terrible“ unter den Reiseschriftstellern: ein Hansdampf in allen Gassen von gut zweihundert Ländern. Haarsträubende Episoden aus seinem «ziemlich wilden Leben» erzählt er einmal mehr in «Die rote Olivetti».

Als Siebzehnjähriger trampte Helge Timmerberg vom heimatlichen Bielefeld nach Indien, das Reisegeld unterwegs auf deutschen Botschaften schnorrend. Dort hatte er die Erleuchtung, heimzukehren und Journalist zu werden: Erst Volontär, dann Lokalredaktor einer Provinzzeitung, bald aber gefragter freier Mitarbeiter der gesamten deutschsprachigen Presse – von Boulevardblättern und Lifestyle-Magazinen bis „Spiegel“, „Geo“ oder“ Merian“.
Geprägt vom amerikanischen „New Journalism“, ersetzte er eine ohnehin illusorische Objektivität durch eine hemmungslos subjektive Sichtweise. So recherchierte er ohne Berührungsangst für den „Playboy“ im Sexgewerbe oder beschrieb im Eigenversuch die Wirkung von Drogen. Und wurde laut Eigenaussage dabei vom kiffenden Hippie zum koksenden Yuppie und wegen Ecstasy zum zynischen Arschloch (nie würde er A… schreiben), bis er im Himalaya zu sich selber zurückfand.
Seine besten Reportagen sind erschienen in Büchern mit so verheissungsvollen Titeln wie „Tiger fressen keine Yogis“ oder „Der Jesus vom Sexshop“.In seiner eben heraus gekommenen Autobiografie „Die rote Olivetti“ hält der 62jährige Rückschau auf sein „ziemlich wildes Leben“. Ob man gerne von epischen Besäufnissen und der Frustration eines gehinderten Rauchers erfährt oder durchs Schlüsselloch von Hotelzimmern in Havanna guckt, ist Geschmackssache. Der flapsige Schreibstil, ebenfalls. Hinreissend aber sind die Reiseerinnerungen.
Denn dieser Weltenbummler ist ein genialer Geschichtenerzähler, der auch auf dem Marktplatz seiner zeitweiligen Wahlheimat Marrakesch erfolgreich auftreten könnte: Geschickt verwebt er präzise Beobachtung und menschliche Anteilnahme mit farbiger Fiktion, sprachgewaltig formuliert voll mit witziger Pointen. Trotzdem: Wohl kein passendes Konfirmationsgeschenk, noch fürs Grosi zum 80. Geburtstag. Wobei es sehr auf das Grosi ankommt… Denn ob man Helge Timmerberg mag oder nicht: Er zwingt einen beim Lesen immer wieder zu zustimmendem Schmunzeln, was sich bei seinen schlagfertigen Live-Auftritten zu unwiderstehlichem Lachen steigert.
Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der Berner Zeitung vom 10.3.2016)