IAN MCEWAN

Gierig bis zum Untergang

Mit Spannung wurde das neue Buch des britischen Bestsellerautors Ian McEwan erwartet. Doch satirische Roman „Solar“ über die Klimakatastrophe ist eine ziemliche Enttäuschung.

Wie kommt ein Schriftsteller zu seinem Stoff? «Ich wurde zu einem Treffen ehemaliger Nobelpreisträger für Physik eingeladen», erzählte Erfolgsautor Ian McEwan in einem Interview. «Auf mich wirkten diese bedeutenden Herren irgendwie tragisch, so weit entfernt von der Wissenschaft.» Zudem beteiligte sich der 62-Jährige an einem Arktis-Aufenthalt von Klimaschützern, die auf Motorschlitten herumbrausten und nicht einmal fähig waren, sich auf eine Ordnung im Umkleideraum zu einigen. Aus diesen beiden Episoden entwickelte der Brite seinen jüngsten Roman «Solar».

Abstossende Hauptfigur
McEwans Antiheld Michael Beard ist ein Scheusal: ein alternder Egomane ohne Gewissen und Mitgefühl, verfressen, versoffen und verhurt. Der Ruhm seines weit zurückliegenden Nobelpreises für Physik hat ihm den Chefposten an einem Institut für nachhaltige Energien eingetragen, an die er nicht glaubt. Er leidet unter seiner Einfallslosigkeit und der Untreue seiner fünften Gattin, die er selber oft betrogen hat.

Da rettet ihn ein Zufall: Sein genialer Doktorand, Liebhaber seiner Frau, stirbt bei einem Unfall. Ehemann Beard stellt diesen als Mord dar und schiebt ihn erfolgreich einem zweiten Nebenbuhler unter. Vor allem aber stiehlt er die Notizen seines toten Konkurrenten, der mit künstlicher Fotosynthese eine neue, saubere Energiequelle entdeckt hat.

Damit gelangt der geschäftstüchtige Professor zu Ruhm und Reichtum – bis sein Plagiat auffliegt. Zum Schluss weiss man nicht, ob er an einem Infarkt seines verfetteten Herzens, an seinem Hautkrebs oder durch eine Kugel des aus dem Gefängnis entlassenen Nichtmörders sterben wird. Und es ist einem egal.

Hölzerne Dialoge
Ian McEwan ist eine bissige Satire auf die Eitelkeiten und Intrigen des Wissenschaftsbetriebs gelungen. Darin gibt es ein paar sehr komische Episoden – etwa wenn in der Arktis das überstrapazierte Körperanhängsel des Helden an seinem Hosenreissverschluss festfriert. Doch allzu oft muss man sich durch lange, für Laien schwer verständliche Fachtexte über Solarenergie und Fotovoltaik kämpfen. Das wissenschaftliche Interesse des Autors hat Romane wie «Liebeswahn» oder «Saturday» bereichert. Hier aber wird seine aufwendige Recherche zum Ballast.

Man langweilt sich auch bei den klischeehaften Nebenfiguren und ihren oft hölzernen Dialogen. Im Gedächtnis haften bleibt einzig die Figur des skrupellosen Wissenschaftlers als Symbol für die vielen Aspekte menschlicher Gier, die unseren Planeten zu zerstören droht.

Wäre diese zusammen gezwungene Mischung aus Umweltproblematik und Charakterstudie, Krimi, Satire und Slapstick der Erstling eines unbekannten Autors, würde man ihm erhebliches Schreibtalent zubilligen. Als zwölftes Werk einer mit Preisen überhäuften literarischen Grösse aber ist der Roman eine ziemliche Enttäuschung.

Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 30.9.10).