MADAME DE MEURON

Ehrenrettung eines Berner Originals

Ihre Hüte, ihr Hörrohr und ihr Standesdünkel waren legendär. Doch hinter der schrulligen alten Dame verbarg sich eine profilierte Persönlichkeit mit tragischer Lebensgeschichte. Berührend porträtiert sie die Berner Historikerin Karoline Arn in einer farbigen Romanbiografie, gestützt auf Briefe und Zeitzeugen.

„Syt dir öpper oder nämet dir dr Lohn?“ Noch heute zitiert man lachend über so viel Arroganz die Frage, welche die letzte Vertreterin des Ancien Régime an gewöhnlich Sterbliche richtete. Doch Elisabeth de Meuron-von Tscharner (1882-1980) war viel mehr als eine Witzfigur: Ihre in vielen schlaflosen Nächten geschriebenen Briefe zeigen sie als sprachmächtige, selbst reflektierte Frau, gefangen in den Zwängen ihrer Zeit und Herkunft.

Schwierige Persönlichkeit
Karoline Arn de Meuron ist froh, der Urgrosstante ihres Ehemanns nie begegnet zu sein: „Sonst hätte mir wohl ihre Maske den Zugang zu ihrer Person erschwert. So konnte ich sie aus der Innensicht porträtieren.“ Dafür stützt sich die Historikerin, Radioredaktorin und Dokufilmerin vor allem auf die über 1’200 in der Burger Bibliothek aufbewahrten Briefe der de Meuron sowie auf  Erinnerungen vieler Zeitzeugen, vor allem ihrer Enkelin Barbara Hegner.
Aus all dem ergibt sich das Bild einer schwierigen Person voller Widersprüche: Exzentrisch und bodenständig, hochmütig und verwundbar,  sparsam und grosszügig zugleich, jähzornig und streitsüchtig. Sie schikanierte ihre studentischen Mieter und lud sie doch auf ihr Schloss Rümligen. Besser als ihren beiden Kindern konnte sie ihre Liebe den Tieren zeigen: Als Gutsherrin begleitete sie ihre Kälber selber zum Metzger, um ihnen die Todesangst zu lindern.

Prägende Herkunft
„Ich habe ein aristokratisches Damengehirn, vererbt und anerzogen“, schreibt sie klarsichtig. Als Kind im Stadtpalais am Münsterplatz durfte sie nur mit Ebenbürtigen spielen und trotz ihrer Begabung (sie war schon früh perfekt bilingue) weder Gymnasium noch Universität besuchen. Ihr Vater verbot ihr auch die Heirat mit dem Sohn einer angesehenen, aber bürgerlichen Winterthurer Familie, und andere Verehrer schreckte sie trotz ihrer Schönheit und Mitgift ab mit ihrem aufbrausenden Temperament.
So heiratete sie ihren entfernten Cousin Frédérique de Meuron aus Neuenburg, einen femininen Schöngeist. Das ungleiche Paar ging bald getrennte Wege, blieb aber auch nach der Scheidung lebenslang freundschaftlich verbunden. Nach dem Tod ihrer Eltern und des Bruders erbte die 45jährige ein grosses Liegenschaftsvermögen mit den Schlössern Rümligen und Amsoldingen, der Villa Vermont und mehreren Altstadthäusern in Bern sowie der Emmentaler Alp Rämisgummen.
Doch als geschiedene Frau zwang sie die Vormundschaftsbehörde, ihren zarten kleinen Sohn in ein Bündner Internat geben. Und ihre Tochter behandelte sie mit so unnachgiebiger Autorität, dass diese bald möglichst nach Genf, dann nach Marokko flüchtete und jeden Kontakt abbrach. Ihrem Sohn verweigerte sie die Heirat mit einer nicht standesgemässen Liebsten und die ersehnte Übernahme des Gutsbetriebs Rümligen. Er erschoss sich im Alter von dreissig Jahren.

Berührende Biografie
Fortan trug die 57jährige nur noch Trauerkleider und verbarg sich in einem Panzer aus brüskem Stolz. „Ich werde zwanghaft zornig und bös aus Verzweiflung“, schreibt sie klarsichtig. Mit ihrer treuen Magd Gritli lebte sie allein im schlecht heizbaren Schloss Rümligen, dessen weitläufigen Park sie mit Verbotstafeln und der wilden Meute ihrer Windhunde schützte. Doch sie empfing ausgewählte Freunde wie die Kunsthistoriker Michael Stettler oder Max Huggler und die Singstudenten. Und mit Gusto organisierte sie auf dem Schlossareal Springreiten der Draguner. Von Frauen hielt sie wenig, befürwortete aber gleiche Bildungschancen.
Regelmässig in den Lauben unterwegs zur Inspektion ihrer Miethäuser, wurde sie zum berühmten, viel zitierten Stadtoriginal. Dass sie viel mehr war, zeigt Karoline Arn in ihrer fundierten, reich mit Fotos illustrierten Biografie, in der sie die alte Schlossherrin ihre Erinnerungen erzählen lässt: die überfällige Ehrenrettung einer Persönlichkeit jenseits des Klischees.

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen am 28.10.2014 in der Berner Zeitung)