CATALIN DORIAN FLORESCU

Liebe oder was vom Leben übrig bleibt

Der aus Rumänien stammende Schweizer Autor Catalin Dorian Florescu erzählt in lebensprallen Bildern die Geschichte eines mehrfach vertriebenen Volkes. «Jacob beschliesst zu lieben» ist eine Familiensaga von universeller Gültigkeit, hart und doch sehr menschlich.

«In meiner Heimat gab es eine grosse Tradition des Geschichtenerzählens», erinnert sich Catalin Dorian Florescu, der als 15-Jähriger mit seinen Eltern nach Zürich kam. Geboren wurde er 1967 im rumänischen Timisoara, das auch die Heimat der Banater Schwaben war. So nannte man die Menschen, die im 18. Jahrhundert aus Süddeutschland, aber auch aus Lothringen und dem Elsass in die unwirtliche Walachei auswanderten, verlockt vom Landversprechen der Habsburger Kaiserin Maria Theresia.
Was sie erwartete, war ein endloser Überlebenskampf gegen Armut, Hunger, Seuchen und Gewalt: Sie zogen mit den Deutschen in den Zweiten Weltkrieg, wurden von den Russen deportiert und nach ihrer Rückkehr von den rumänischen Kommunisten erneut vertrieben. Davon erzählt Florescus fünfter und bisher bester Roman.

Anrührende Schicksale
Mit hinreissender Erzählkunst verwebt der 44-Jährige in «Jacob beschiesst zu lieben» historische Fakten und individuelle Schicksale. Eindrücklichste Gestalt ist der empfindsame Jacob, in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts geboren im Banater Dorf Triebswetter. Sein Vater ist ein kraftstrotzender Emporkömmling, der den schwächlichen Buben brutal ablehnt. Er verstösst ihn samt dem Schwiegervater vom Hof, enterbt ihn zugunsten seines unehelichen Sohnes und bringt ihn wiederholt in lebensbedrohliche Situationen. Geschickt meistert Jacob all die Katastrophen seines wechselvollen Lebens. Was ihn rettet, ist die Liebe: zu seinem Grossvater, zum zarten Serbenmädchen Katica und zur heilkundigen Zigeunerin Ramina, die beide den Nazis zum Opfer fallen.
Diese Familiensaga weitet sich in Rückblenden aus zu einem drei Jahrhunderte umspannenden Geschichtspanorama, illustriert mit den Taten zweier lothringischer Vorfahren. Dafür hat der Autor ausgiebig recherchiert, in Rumänien wie in Frankreich. Doch anders als Zaira, die Titelfigur in Florescus letztem Roman, haben diesmal seine Protagonisten keine lebenden Vorbilder.

Grosses Geschichtspanorama
«Das Dorf Triebswetter gibt es zwar, es hat sogar eine heimatkundliche Homepage mit den Stammbäumen aller Familien», erklärt Florescu. «Aber meine Figuren sind einzig in meiner Vorstellung gewachsen, haben sich mir geradezu aufgezwungen.» So wird sogar jeder Nebendarsteller zur unvergesslichen Persönlichkeit: der alte Pope zum Beispiel, der die Knochen der vielen verscharrten Opfer ausgräbt, um sie christlich zu begraben. Kraftvoll mischt auch die Natur mit im dramatischen Geschehen. Gleich auf der ersten Seite zieht ein Sommergewitter auf: «Die Wolkenfront im Westen schiebt sich bedrohlich vorwärts, der Himmel überzieht sich wie mit Teer, Luft und Erde wirbeln durcheinander, und der Wind jault über die Felder. Dann wissen die Menschen, dass Gott den Teufel gefunden hat, der sich in jedem Sturm versteckt.»

Der Autor erzählt, wie sich die Geschichte beim Schreiben immer weiter ausgedehnt hat: «Eigentlich wollte ich nur eine Familienchronik schreiben. Doch dann merkte ich, dass ich ein globales Thema hatte: Überall und immer wieder werden Menschen vertrieben und müssen versuchen, sich unter schwierigen Bedingungen eine neue Heimat zu schaffen.»

Versöhnliche Botschaft
Und wie haben die Banater Schwaben auf seinen Roman reagiert? Florescu lacht: «Manche waren begeistert, andere befremdet, dass ein nicht zu ihrer Volksgruppe Gehöriger eine kritische Darstellung ihrer Vergangenheit wagte.» Diese Erfahrung hat auch die aus derselben Gegend stammende Nobelpreisträgerin Herta Müller gemacht, deren Romane noch ungleich härter sind. Florescu lässt zum Schluss seinen erstarkten Jacob Frieden schliessen mit dem alten, kranken Vater, als die beiden erneut Vertriebenen allein auf einem nächtlichen Feld sitzen.
«Eigentlich sollte der Sohn den Vater erschlagen nach allem, was dieser ihm angetan hat», meint Florescu. «Aber dann hätte meine Geschichte keinen Sinn gehabt. Wir werden doch alle unfreiwillig in diese gefährliche Welt geworfen und müssen versuchen, allen Widrigkeiten zum Trotz menschlich und liebesfähig zu bleiben.»

Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 21.04.2011)