PETER J. BETTS

Ganz andere Weihnachtsgeschichten

Unter dem Titel «Agent J und andere Weihnachtsgeschichten» veröffentlicht Peter J. Betts zwei Dutzend kurze Erzählungen, die alle um den 24. Dezember stattfinden: unsentimental berührend, zeitkritisch pointiert und geschliffen kompakt.

Agent J, besser bekannt als Jesus, zieht das von Mutter Maria geflickte weisse Arbeitsgewand an, montiert die goldenen Schwingen und fliegt vom Himmel auf unsere Erde, die in einem schlechten Zustand ist: In den rund zweitausend Jahren seit seiner Geburt in einem dortigen Stall haben Frieden, Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit nicht zugenommen, im Gegenteil. Das klingt nach moralisierendem Kitsch, ist aber bei aller Ernsthaftigkeit des Anliegens vor allem witzig phantasievolle Imagination. Peter J. Betts Geschichten leben von überraschenden Einfällen, die für Spannung sorgen: Man weiss nie, was als Nächstes geschieht. Es kann auch eine Begegnung mit den nicht ganz so Heiligen Drei Königen sein.

Bei aller surrealen Flunkerei wirken die auftretenden, sehr unterschiedlichen Menschen glaubhaft real. Sie sind selten glücklich, und an Weihnachten leiden sie besonders stark unter ihrer Einsamkeit in scheinbar intakten Familien, dem sinnlosen Strebens nach Wohlstand. Geballt erleben sie ihre Aengste und den Schmerz von Trennungen, Krankheit und Tod.  Doch geschehen in diesen besonderen Tagen auch tröstliche kleine Wunder.

Schicksale in einer Nussschale

Die berührenden Schicksale ergäben ganze Romane, erscheinen aber als Momentaufnahmen, konzentriert auf wenige Seiten. Jede hat ihre ganz eigene Emotionalität und Sprache. Und wie in einem Film sieht man die vom Autor offensichtlich intensiv erlebten Landschaften vorbeiziehen: die nebelverhangene Po-Ebene, den geheimnisvollen Bergsee, den verschneiten Jura und immer wieder die spektakulären Tauchgründe in exotischen Meeren. Treffsicher ist auch die Satire auf Seminare zur Leistungssteigerung, den Konkurrenzkampf in Betrieben, den Verkaufsrummel der Vorweihnachtszeit.

Wie klassische Novellen sind die Erzählungen konstruiert um ein aussergewöhnliches Ereignis von existentieller Bedeutung.

Geschrieben hat und sprachlich fein geschliffen hat sie der ehemalige langjährige Kultursekretär der Stadt Bern zwischen 1994 und 2017 als Weihnachtsgeschenke für seine Frau. Dazu sagt er: «Mit jeder Geschichte habe ich ein für das betreffende Jahr charakteristisches Lebensgefühl einzufangen versucht, das über den kurzen Moment hinaus Gültigkeit haben sollte.» Das ist ihm gelungen.                  

Peter J. Betts: Agent J und andere Weihnachtsgeschichten. Münster Verlag, 188 S.

Marie-Louise Zimmermann, erschienen in der Berner Zeitung vom 9.11.2018