BARNEY NORRIS

Virtuose Schicksalscollage

Sprachmächtig verknüpft der junge Brite Barney Norris in seinem ersten Roman «Hier treffen sich fünf Flüsse» fünf tragische Schicksalsgeschichten.

«Eine kleine Stadt, wo der Turm hoch in den Himmel ragt, wo Flüsse und Geschichten sich verweben und Lebenswege einander kreuzen». Die Rede ist von Salisbury südwestlich von London, bekannt für seine Kathedrale, das nahe Stonehenge und den Zusammenfluss von fünf Wasserwegen. Hier ist der dreissigjährige Theaterautor Barney Norris aufgewachsen und hier verortet er seinen ersten Roman.
Fünf Menschen sind involviert in einen schweren Verkehrsunfall: Das Opfer ist eine heruntergekommene Blumenverkäuferin, der Verursacher ein verwitweter Bauer. Ein Schuljunge, der das Unglück mitbekommt, verirrt sich verstört in einem gesicherten Gelände. Dessen Wachtmann, ein ausgestiegener Journalist, fängt ihn auf. Und eine Offiziersgattin berichtet ihrem in Afghanistan stationierten Gatten das Geschehen.

Berührende Schicksale
In blossen Andeutungen, aber psychologisch präzise werden hier fünf Schicksale skizziert. Berührend ist vor allem der Sechzehnjährige, der an seiner unerwiderten ersten Liebe und dem Sterben seines Vaters leidet. Aber auch die andern Figuren tragen schwer an der Last ihrer Einsamkeit. Lebendig werden sie durch ihre je eigene, stimmige Sprache. Barney Norris beherrscht alle Register: die vulgäre Wortwahl der Unterschichtsfrau, den Slang des Teenagers, die Routine des untersuchenden Polizeitbeamten, die Diktion der Gebildeten.
Er beginnt seinen Collageroman mit einem geografisch-historischen Prolog von hinreissender Musikalität, erhalten in der sorgfältigen deutschen Uebersetzung: «Es trafen sich also fünf Flüsse in einem bewaldeteten Flachland, und unter der Last der Wassermassen geschah etwas absolut Aussergewöhnliches: Die Welt schreckte auf, erhob die Stimme und entliess helle Töne in den blauen Himmel. Ein mächtiger Akkord erklang tief im Herzen Englands.»
Erstaunlich für einen so jungen Autor ist die melancholische Grundstimmung in jedem der fünf Kapitel. Oft geht es um Krankheit, Sucht, Depression, Tod. Doch der dunkle Hintergrund lässt die Farben des ungewöhnlichen Romans umso intensiver leuchten. Da ist ein junges Talent am Werk, dessen Namen man sich merken muss.

Barney Norris: Hier treffen sich fünf Flüsse. Uebersetzt von Johann Christoph Maass. Dumont Verlag, 317 S.

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen 8.7.2017 in der Berner Zeitung/ Aargauer Zeitung)