BORGER & STRAUB

Zwei Frauen schreiben eine Geschichte

Der neue Roman «Sommer mit Emma» von Martina Borger und Maria Elisabeth Straub erzählt stimmig von katastrophalen Familienferien auf einem Hausboot. Erfolgreich schafft das Autorinnenpaar die Zusammenarbeit auf Distanz – im Pingpong-Verfahren.

Luisa hat sich die Bootsferien so schön vorgestellt: «Ein idyllischer Uferplatz zwischen hängenden Weiden, auf dem Fluss tanzen goldene Lichtreflexe. Und jeder ist zufrieden.» Mit Idylle tun sich zurzeit nämlich alle schwer. Ihr Mann Daniel leidet als Künstler unter mangelndem Erfolg, während sie sich als Physiotherapeutin abrackert. Und ihre Kinder Jasper und Lea sind im schwierigsten Alter. Der achtzehnjährige Sohn liess sich überhaupt nur zu dieser Bootsreise auf einem englischen Fluss überreden, weil er seinen türkischen Freund Can mitnehmen durfte.

Bröckelnde Familienidylle
Derweil freut sich die drei Jahre jüngere Lea auf Emma, ihre gleichaltrige Halbschwester aus Amerika. Ihr Vater hat seine aus einer Aussenbeziehung stammende Tochter trotz der Bedenken seiner Frau zu Familienferien eingeladen. Es kommt, wie es kommen muss: Das Boot ist ein miefiger alter Kasten, in dessen Enge sich alle im Dauerregen zunehmend auf die Nerven gehen.

Die beiden Jungen trösten sich mit Kiffen, Lea mit Tagebuch schreiben und die bildhübsche Emma damit, dass sie die dunklen Geheimnisse ihrer Bootsgefährten erschnüffelt und bösartig ausnutzt. Daran zerbricht die mühsam aufrechterhaltene Familienidylle, und der Gutherzigste bezahlt mit dem Leben.

Flott geschrieben in einer dem Alltag abgelauschten Sprache und mit anschaulichem Lokalkolorit illustriert, entwickelt die Geschichte einer unaufhaltsamen zwischenmenschlichen Katastrophe einen starken Sog.

Gnadenlose Scharfsicht
Der scharfe Blick, der die Fassaden alltäglicher Normalität durchbricht, um die Abgründe des Lebens auszuleuchten, ist das Markenzeichen des deutschen Autorinnenpaares Martina Borger (53) und Maria Elisabeth Straub (65), kurz Borger & Straub. 2001 feierte es seinen ersten Erfolg mit dem später verfilmten Roman «Katzenzungen», in dem bei einem Treffen drei Freundinnen die verschwiegenen Konflikte aus der Vergangenheit zerstörerisch aufbrechen.

In «Kleine Schwester» (2002) geht es um eine Familie, die an einem schwierigen Pflegekind scheitert. Und «Im Gehege» (2004) erzählt von einem Gymnasiallehrer, der sich in seiner Leidenschaft für eine viel jüngere Frau in tödliche Verbrechen verstrickt. Im Unterschied zu diesem verbohrten Typen, dessen Untergang man mitleidslos verfolgt, erzwingen alle Figuren im neusten Roman von Borger & Straub Anteilnahme – sogar das Biest Emma.

Das hängt damit zusammen, dass die Figuren aus ihrer Innensicht gezeigt werden, dass ihre Gedanken und Gefühle stimmig bis ins Detail und damit leicht nachvollziehbar erscheinen. Die Welt der Halbwüchsigen haben die beiden Autorinnen bei ihren eigenen Kindern beobachtet. Und die Tücken von Hausbooten kennt Martina Borger aus eigener Erfahrung. Von ihr stammt denn auch das Ambiente des neusten Romans. «Ein Klasse Schauplatz für einen Familienkonflikt», meint ihre Kollegin Maria Elisabeth Straub, die selber auch schon auf dem Wasser gelebt hat.

Schreiben als Ping-Pong
Kennen und mögen gelernt haben sich die beiden Autorinnen während zwölf Jahren Drehbucharbeit (von 1985 bis 1997) für die legendäre TV-Serie «Lindenstrasse». Nun geniessen sie es, ohne inhaltliche Vorgaben und zeitlichen Stress, ihre Geschichten gemeinsam zu entwickeln. Aber wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen? Wo doch die eine in Süd- und die andere in Norddeutschland lebt?

«Natürlich geht es nur dank moderner Übermittlungstechnik», sagt Maria Elisabeth Straub. «Doch am Anfang treffen wir uns, um den Plot festzulegen und alle Figuren, akribisch genau bis zur Länge der Augenwimpern.» Dann geht es im Pingpong-Verfahren weiter: Die eine schreibt zwei Wochen lang und mailt dann die rund zwanzig Seiten der andern zur Kritik. «Wir diskutieren ausgiebig am Telefon, manchmal über ein einzelnes Wort», berichtet Straub. «Doch ernsthaft gestritten haben wir uns noch nie.» Eitles Konkurrenzdenken ist ihnen offenbar fremd.

Trotz des Erfolgsrezepts haben die beiden Autorinnen ihre vorletzten Bücher im Alleingang verfasst. «Nicht alle Themen eignen sich für Teamarbeit», erklärt Maria Elisabeth Straub. Nun haben sie wieder zusammengespannt – und es hat sich einmal mehr gelohnt.

Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 8.10.2009)