KOLUMBIEN

Das Bürgerkriegsland wird zum Reiseziel


Die Altstadt von Cartagena gilt als die besterhaltene Südamerikas.

Kolumbien galt lange als zu gefährliches Reiseziel, geplagt von Guerilla- und Drogenkrieg. Doch mit dem Friedensprozess wird das vielfältige Land interessant für den internationalen Tourismus: Es locken eindrückliche Landschaften, historische Städte und sympathische Menschen.

Mompós am frühen Morgen, bevor sich die feuchte Hitze über das Städtchen am Magdalena-Strom legt. Ein verspäteter Hahn kräht und in den mächtigen Uferbäumen lärmen die Vögel. Kinder in Schuluniformen eilen über den Kirchplatz, auf dem sie abends spielen werden. Hausfrauen fegen die rot gefliesten, hohen Trottoirs vor den bunten Häuserzeilen und zwischen den Holzgittern der offenen Fenstern dringt der Duft von Kaffee und Maisfladen. Ein Mann lädt Ananas auf seinen Handkarren, ein anderer Kehricht auf einen Pferdwagen. Und an der Uferböschung sonnt sich zwischen Abfall ein grosser Leguan. Man glaubt sich in einem Roman des kolumbianischen Nobelpreisträgers Marquez.

Koloniale Schmuckstücke
Einst war hier ein wichtiger Umschlagplatz zwischen der Karibikküste und den Anden. Tabak, Edelsteine, Schmuggelware und Sklaven machten die Händler reich. Doch als der Fluss verschlammte und die Raddampfer wegblieben, fiel Mompós (auch Mompóx geschrieben) in einen Dornröschenschlaf. Aus dem ist es seit der Ernennung als Unesco-Weltkulturerbe erwacht: Die drei farbigen Kirchen und das Rathaus wurden restauriert, die feudalen Häuser mit den schönen Innenhöfen in Hotels oder Restaurants umgewandelt. Nun nehmen vermehrt Touristen die neunstündige Fahrt (in komfortablem Bus)) auf sich. Sie führt durch endlose Ebenen, auf denen Zeburinder Schatten suchen unter gelb blühenden Bäumen.
In dem beschaulichen Städtchen besucht man den mehrstöckigen Friedhof und lässt sich im verwilderten Botanischen Garten vom achtzigjährigen Don Ernesto die Heil- und Gewürzpflanzen erklären. Ein Höhepunkt ist die Flussfahrt: Am Ufer stehen weisse Reiher Spalier, Eisvögel jagen, auf dem höchsten Ceiba-Baum hockt ein Fischadler. Männer werfen Netze aus und Buben tollen im braunen Wasser, rosa beleuchtet von der untergehenden Sonne.
Es gibt noch andere Bilderbuchstädtchen, Barrichara zum Beispiel oder Salento. Aber das eindrücklichste Beispiel kolonialer Architektur ist Cartagena: Eine doppelte Mauer mit imposanten Festungen umschliesst die aufwendig restaurierten Kirchen, Klöster und Paläste der Altstadt. Das zieht natürlich Heerscharen von Touristen an, die sich in Pferdekutschen herumführen lassen und auf den mit witzigen Skulpturen geschmückten Plätzen speisen.
Noch charmanter ist das alte Wohnviertel Getsemani, wo Vorhänge blühender Bougainvilleas die niedrigen bunten Häuser verhüllen. Vor einem der kleinen Hotels sitzend, nimmt man hier teil am abendlichen Nachbarschaftsleben. Und verflucht dabei die Autos, die sich hupend zwischen den schmalen Trottoirs hindurchzwängen. Fussgänger sind rechtlos hier. Doch als ich zögere, eine grosse Strasse ohne Ampeln und Zebrastreifen zu überqueren, nimmt mich ein mitleidiger Passant einfach an der Hand.
Sogar in dieser Touristenstadt sind die Menschen von herzlicher Offenheit: Ein Strassenhändler, dem ich nichts abgekauft habe, erklärt mir geduldig den Weg. Und auf einer Parkbank nennen mich neugierige Unbekannte «amiga». Das tröstet über den einheimischen Massentourismus, der die karibische Region Kolumbiens prägt und die sogenannten Naturschutzgebiete bedroht.
Auf den Islas del Rosario etwa trampeln Schorchelnde auf den zum Glück schon toten Korallen herum, und vor der überfüllten Playa Blanca kurven Scooters stinkend um die Badenden. Dafür geniesst man auf der Rückkehr in den Hafen der Millionenstadt Cartagena den Blick auf die weissen Wohntürme, die deren Badestrand säumen.
Auch im grossen Hauptferienort Santa Marta dominieren Betonburgen den grauen Sandstrand. Mehr Natur findet man im nahen Bergdorf Minca: lange geplagt vom Guerillakrieg, heute ein kleines Zentrum für Oekotourismus. Hier wandert man im Regenwald, badet in einem der Maggia ähnlichen Fluss und besucht eine hundertjährigen Kaffee-Finca, von ihrem deutschen Besitzer liebevoll restauriert.
Idyllisch ist auch das Fischerdörfchen Palomino mit ein paar kleinen Hostels, eines davon von mit willkommenem Pool im blühenden Garten; denn am langen Sandstrand ist das Meer zu wild zum Schwimmen. Dafür kann man sich in Lastwagenpneus den Fluss hinunter treiben lassen in Gesellschaft von Vögeln, Affen und Schmetterlingen.

Andere Kulturen
Noch ursprünglicher ist der der nahe «Parque Tayrona», den man nur zu Fuss über einen Bohlenweg erreicht, auf und ab durch den Wald. Die einsamen Strände sind herrlich wild, die Meeresströmungen aber auch hier zu gefährlich. Und die dünne Matratze im Zelt teilt man mit Wanzen. Das Schutzgebiet gehört den Indios und wurde diesen Winter für einen Monat geschlossen, um ihnen zu ermöglichen, die durch die Besuchermassen geschändete Natur mit einem Ritual zu versöhnen.
Ein neuer Verfassungsartikel verspricht dem kleinen Rest indigener Bevölkerung mehr Respekt. Trotzdem wirkt die Halbinsel La Guajira , auf die sie verdrängt wurde, wie ein tristes Reservat: Die von Kakteen und Dornbüschen bewachsene Wüste ist zwar von rauer Schönheit unter Sonne und Wind; doch sie ernährt nicht mehr als ein paar magere Ziegen. So sperren Kindergruppen immer wieder die Holperpiste, um Süssigkeiten zu erpressen.
Von ihrer durch die spanischen Eroberer zerstörten Hochkultur zeugen nur noch der phantastische Goldschmuck und die witzigen Keramikgefässe in den Museen von Bogotá, Santa Marta oder Cartagena. Besser geht es einer anderen Minderheit, den Raizas auf den zwei nördlichsten, einst britischen Inselchen: dunkelhäutige Menschen, die eine Art Englisch sprechen.
Mehr als das touristische San Andrés, bietet die kleinere Schwesterinsel Karibik pur: Bewaldete Berge ragen aus dem türkisfarbenen Meer, die hellen Sandstrände muss man nur mit wenigen teilen, und Tauchen am weitgehend intakten Korallenriff ist berühmt. Angesteckt vom entspannten Lebensstil, vergisst man den Aerger über die happigen Preisen für ein bescheidenes Angebot.
Vor dem Abflug aus der modernen Riesenstadt Bogota erklären mir erfahrene Reisenden, das Beste von Kolumbien hätte ich verpasst: die urbane Kultur der einstigen Drogenhochburg Medellin und den temperamentvollen Carneval von Baranquilla, die grünen Hügel der Kaffeeplantagen, die wilde Atlantikküste, die eindrücklichen Steinskulpturen in San Augustin. Ich könnte mir Schlimmeres vorstellen, als eine Rückkehr in dieses vielfältige Land mit den freundlichen Menschen.

Sicherheit und Frieden?
In den Touristengebieten wird man behütet von zahlreicher Polizei, unterstützt von den Einheimischen, die einen geschäftsschädigenden Imageverlust fürchten. Uebergriffe auf Ausländer werden hart bestraft. Aber jeden Tag hört oder liest man von Gaunereien und Gewalt innerhalb der Bevölkerung. Und vor Reisen in bestimmte abgelegene Gebiete wird immer noch gewarnt.
Ist denn der fünfzigjährige Bürgerkrieg nicht wirklich vorbei? Der bekannte kolumbianische Menschenrechtsanwalt Juan Pablo Ordoñez sagt resigniert: «So lange der Unterschied zwischen Reich und Arm derart krass bleibt, kann es keinen wirklichen Frieden geben.» Aber er begrüsst, dass sich die Aufmerksamkeit jetzt weg von den Guerillas auf die grassierende Korruption richtet. So versucht etwa der neue Bürgermeister der Grossstadt Santa Marta, die vor Jahren von der örtlichen Politmafia an eine spanische Firma verschacherte, völlig marode Trink- und Abwasserversorgung wieder in die Hand zu bekommen. Doch Juan Pablo macht sich keine Illusionen: «Seit es Kolumbien gibt, ist es korrupt und gewalttätig. Und zu viele sind daran interessiert, dass es so bleibt. Aber Touristen haben nicht mehr zu befürchten als anderswo auch.»


Schön, aber wild ist das Meer an der Nordostküste Kolumbiens. (Fotos: mlz)

Infos und Tipps

Transport: Langstreckenflüge nur mit Umsteigen.  Günstige Inlandflüge, gute Busse
Unterkunft: Hostales «Dreamer» Palomino, «Ritmo» Santa Marta, «Relax» Cartagena, «Casa Amarilla» Mompos.
Kulinarik: Kein Feinschmeckerland.
Natur: In Tayrona, Guajira, Palomino, Minca
Museen: Lohnend in Bogota, Santa Marta, Cartagena

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der «Berner Zeitung» vom 9.8.2017)