RUMÄNIEN

Nicht ohne meinen Feldstecher

Fischerdorf im Donaudelta

Die Naturlandschaften Rumäniens mit ihrer reichen Vogelwelt ermöglichen nicht nur Ornithologen unvergleichliche Erlebnisse. Am besten entdeckt man das Wasserlabyrinth des Donaudeltas, die Steppenseen der Dobrudscha und die Waldberge der Karpaten unter kundiger Führung.

Gemächlich tuckert das Fischerboot zwischen Auenwald und Schilfdickicht auf einem schmalen Seitenkanal hinein ins Delta. Die unverzichtbaren Feldstecher sind erwartungsvoll gezückt, ist doch das riesige Mündungsgebiet der Donau am Schwarzen Meer der Höhepunkt einer zehntägigen ornithologischen Reise durch Rumänien: Über dreihundert Arten nutzen dieses wichtigste Reservat Europas von der Grösse des Kantons Bern als Brut- oder Rastplatz.

Grosse Artenvielfalt
Die Vögel lassen nicht lange auf sich warten: Regungslos steht unter einer ins Wasser hängenden Weide ein Seidenreiher mit wehenden Schmuckfedern, ein Eisvogel schiesst als blauer Blitz vorbei. Auf einer Pappel lauert ein Baumfalke, und auf einem tieferen Ast duckt sich ein kleiner Nachtreiher. Braunkehlchen und Rohrsänger turnen in den Schilfhalmen, sogar eine selten zu beobachtende Rohrdommel entdeckt unser Reiseführer. Er sieht, hört und kennt alles, was Federn trägt, und hat als gebürtiger Rumäniendeutscher aus Siebenbürgen keine Verständigungsprobleme. Seine Begeisterung wirkt ansteckend – etwa wenn es ihm gelingt, mit einer auf dem Handy gespeicherten Vogelstimme einen ebenso scheuen wie seltenen Feldrohrsänger hervorzulocken.

Auch wer nicht den Ehrgeiz hat, jeden Vogel mit Vor- und Nachnamen anzusprechen, geniesst den zeitlosen Aufenthalt in der Natur. Unvergesslich bleiben vorab die Eindrücke im Delta: die verschiedenen Stelz- und Watvögel auf einer Sandbank zwischen Lagune und Meer, die gemeinsam brütenden, fischenden oder hoch oben kreisenden Krauskopf- und Rosapelikane.

Bleibende Erlebnisse gibt es auch anderswo: Da nisten etwa in einer lehmigen Uferböschung exotisch bunte Bienenfresser, davor stochern zwei Wiedehopfe mit gesträubter Haube im Gras. Über einem Steppensee jagen schwarz-weisse Seeschwalben, daneben glänzt auf einem Draht eine von der Abendsonne beschienene Blauracke. Wie rote Schmetterlinge flattert ein Pärchen Mauerläufer am grauen Kalkfelsen einer Karpatenschlucht. Und im Morgenkonzert des Auwaldes wetteifern Kuckuck und Pirol mit Nachtigallen und Sprossern, nachgeahmt von einem Gelbspötter.

Botanische Entdeckungen
Botanisch Interessierte kommen ebenfalls auf die Rechnung: Sie entdecken zahlreiche Orchideenarten, seltene Adonisröschen und wilde Pfingstrosen auf einem trockenen Hügel am Rand der Tiefebene. Weit reicht von hier der Blick über riesige grüne Kornäcker und goldene Rapsfelder, und am Himmel singen gleich drei verschiedene Lerchenarten.

Interessant sind in Rumänien aber auch die verschiedenen Kulturen und Baustile: von den Fischerdörfern im Delta mit ihrer teilweise russischstämmigen Bevölkerung bis zu den deutsch geprägten Ortschaften Siebenbürgens. Dort gehört der Besuch der geheimnisumwitterten Dracula-Burg von Bran und des kitschigen Königsschlosses von Peles zum Pflichtprogramm. Wobei man gerne aus dem Touristenrummel mit dem Feldstecher zu den Parkbäumen flüchtet.

Land im Umbruch
Menschliche Kontakte ergeben sich vor allem bei den Übernachtungen in Familienpensionen, wo beflissene Gastwirte regionale Hausmannskost auftischen, immer begossen mit duftendem Pflaumenschnaps: Im Süden gibt es frischen Donaufisch, Polenta, Schafskäse und sonnengereifte Tomaten, im Norden Schweinebraten, Wurst oder Kohlrouladen.

Nur die Bedienung wirkt oft eher mürrisch in alter kommunistischer Manier. Lächelnd erwidern dagegen die ärmlich gekleideten alten Frauen auf dem Land den auf Rumänisch gestotterten Gruss, und eine schicke junge Bukaresterin auf dem Passagierschiff erprobt ihr Englisch. Man bekommt den Eindruck einer tief gespaltenen Gesellschaft.

Unterwegs sieht man Zeichen von Niedergang wie von Aufschwung: Zwischen zerfallenden Bauernhäusern, verwahrlosten Mietkasernen und trostlosen Fabrikruinen protzen neue Hotels, Supermärkte, Handy- und Autovertretungen. Die oft mit Fresken geschmückten orthodoxen Kirchen und auch manche Dorfpensionen wirken frisch renoviert. Vielerorts werden Strassen saniert und in Naturschutzgebieten die überall herumliegenden Abfälle eingesammelt.

Doch wenn man den Bauernfamilien auf den Heuwiesen zuschaut, die von Hand mähen, rechen und ihre Pferdewagen beladen, fühlt man sich zurückversetzt in Zeiten, die bei uns längst verschwunden sind. Samt vielen Vogelarten …

Hobby-Ornithologen auf Pirsch. (Foto: mlz)Hobby-Ornithologen auf Pirsch. (Fotos: mlz)

Tipps & infos
Reisezeit: April–Juni oder September–Oktober (Vogelzug).
Transport: Die Swiss fliegt nach Bukarest, nachher Auto- und Bootsmiete unumgänglich.
Veranstalter: Die oben beschriebene Reise in Kleingruppen wird organisiert von www.birdingtours.de. Wiederholung diesen September und nächsten Frühling.

Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 23.7.2010)