BELLE-ILE

Ganz schön windig

Unterwegs im Meerwind. (Foto: Carmela Müller)

Die grösste Insel der Bretagne heisst zu Recht Belle-Île: Mit ihren wilden Steilküsten und goldenen Sandbuchten, den bunten Blumenwiesen und hübschen Ortschaften ist sie ein Paradies zum Wandern und Radfahren.

Unterwegs auf dem Küstenpfad wird man so richtig durchgeblasen. Der stete Wind treibt die Wolken über den grossen Himmel und kämmt Wellen in das trockene Gras auf den zerklüfteten Steilklippen. Er zeichnet weisse Kronen ins dunkelblaue Meer und lässt es gegen die schwarzen Felsen donnern, sodass die Schaumflocken hoch oben im violetten Teppich des Heidekrauts landen. Silbermöwen lassen sich kreischend in die Gischt fallen, weiter draussen fischen Kormorane.

Plötzlich bricht die Sonne durch, taucht die wilde Landschaft in ein dramatisches Licht und zaubert einen Regenbogen vor das Schiefergrau. Und schon gibt es wieder einen Wolkenbruch: Der Regen prasselt erbarmungslos herunter. Zum Glück kennt die nächste Autofahrerin das Problem der spärlichen Busverbindungen in der Region und erbarmt sich der Durchnässten.

An der Küste wandern
Wer sich freut an der unzerstörten Natur einer wilden Meerlandschaft, findet ausserhalb der Hauptsaison auf Belle-Île, der schönsten Insel der Bretagne, ein Wanderparadies. Fast 100 Kilometer lang ist der «Sentier Côtier», der lückenlos die ganze Insel umrundet – schlecht markiert zwar, aber gut unterhalten.

Auf der Atlantikseite klettert er immer wieder hinunter in enge Buchten mit versteckten kleinen Sandstränden, dann ebenso steil wieder hoch. Dazwischen geht man über einen mit weissen Blütensternen bestickten Trockenrasen und geniesst den weiten Blick auf eine Bucht mit skurrilen Felsentürmen und Gesteinsbrocken im schäumenden Meer. Es ist kein Zufall, dass Claude Monet hier gemalt hat!

Begeisterte Prominenz gab es auch an der «Pointe des Poulains», dem spektakulären Nordwestzipfel der Insel: Die legendäre Schauspielerin Sarah Bernhardt hatte sich hier ein Feriendomizil eingerichtet. Die meisten Gebäude wurden 1944 zwar von den Deutschen zerstört, doch noch immer bewahrt ein kleines Museum die Erinnerung.

Übers Bauernland radeln
Sanfter wirkt die Landschaft an der geschützteren Ostküste, wo zwischen dunklen Zypressenwäldchen goldgelbe Ginsterbüsche blühen. Hier findet sich ein anderthalb Kilometer langer, bei den Windsurfern beliebter Sandstrand. Und bestimmt mögen auch Küstensegler die Insel mit ihren grossen Jachthäfen.

Wer lieber Velo fährt, wird das dichte Netz gut markierter Radrouten schätzen. Allerdings muss man vielerorts die schmalen, kurvenreichen Strassen mit den Autos teilen und auch unerwartet viele Steigungen bewältigen. Dafür entdeckt man – unterwegs durch Blumenwiesen und Viehweiden – hübsche Häuser, weiss mit blauen Fensterläden und Türen, umgeben von üppig blühenden Hortensien. Mit ihren weissen Dreiecksgiebeln gleichen sie der traditionellen irischen Bauweise, und auch die gutturalen Ortsnamen erinnern an die keltische Vergangenheit. Offensichtlich gelten hier auch für neue Feriensiedlungen strenge Bauvorschriften, sodass kaum irgendwo eine Architektursünde die Idylle stört.

Meeresfrüchte schlemmen
Längst leben die rund 5000 Einheimischen mehr vom Tourismus als vom Fischfang mit Konservenindustrie. Im Hochsommer verzehnfacht sich die Einwohnerzahl. Die meisten Feriengäste kommen aus Frankreich, vor allem aus Paris – wie übrigens auch viele der Ansässigen.

Das schlägt sich nieder in der Breite des kulinarischen Angebots. Man geniesst in erster Linie, was das Meer hergibt: Fische aller Art, Austern und Muscheln, imposante Hummer und günstigere Krabben oder Meerspinnen. Beliebt ist das schmackhafte Fleisch der auf Salzwiesen aufgezogenen Lämmer.

Wer die hohen Preise der guten Restaurants scheut, hält sich an die nahrhaften bretonischen Spezialitäten: gesalzene, mit vielerlei Zutaten belegte knusprige Pfannkuchen aus dunklem Mehl, Galettes genannt, oder süsse Crêpes in allen Varianten. Sündhaft gut ist auch das Buttergebäck, prickelnd der aus Tassen getrunkene Cidre, der Apfelwein der Gegend.

Durchs Städtchen bummeln
Zahlreicher als Hotels findet man Ferienwohnungen und Privatunterkünfte, vor allem im Hauptort Le Palais. Der Name kommt von der gewaltigen Burg, die Vauban – der berühmte Festungsbaumeister Ludwigs des Vierzehnten – hoch über der Stadt mit ihrem geschützten Hafen anlegen liess. Heute berichtet hier ein Museum von der wechselvollen Geschichte der Insel – ausser von der schamhaft verschwiegenen deutschen Besetzung im 2.Weltkrieg. Hinter dicken Mauern stilvoll übernachten kann man im eben eröffneten neuen Schlosshotel.

Im Städtchen verweisen schicke Modeboutiquen und exklusive Feinkostläden auf eine finanzkräftige Ferienkundschaft. Ein kleiner Laden verkauft «alle Gewürze der Welt», und ein Geschäft mit maritimen Antiquitäten verlockt zum Stöbern.

Einfacher geht es im Hafenstädtchen Sauzon zu. Hier stehen abends am Quai die Feriengäste Schlange beim Stand der Fischhändlerin vor den pastellfarbenen Hausfassaden. Oder sie buddeln bei Ebbe im Schlick der schmalen Bucht selber nach Muscheln. Und immer weht der Wind, lässt die Wanten der Segelboote im Hafen klingeln und verspricht für den morgigen Tag – irgendein Wetter.

An der wilden Nordküste. (Foto: mlz)

Tipps und Infos
Wie man hinkommt: Per TGV nach Auray, mit Umsteigen in Strassburg und Nantes. Ab Auray fährt eine Lokalbahn («Tire-Bouchon») oder ein Bus nach Guiberon. Dort nimmt man die Fähre nach Le Palais oder Sauzon. Reisedauer: 12 Stunden. Rückfahrt ab Auray via Rennes und Paris (Bahnhofwechsel).
Wie man herumkommt: Autotransport per Fähre ist teuer. In Le Palais können Autos gemietet werden. Es ist aber schwierig, Parkplätze zu finden. Auf der Insel gibt’s viele Velovermietungen. Die Busse auf den drei Linien fahren ausserhalb der Saison selten. Autostopp klappt gut.
Beste Reisezeit: Juni oder September. Vom 14. Juli bis 31.August ist die Insel total überfüllt!
Infos: Das Tourismusbüro Le Palais hat eine gute Broschüre zu Wander- und Velorouten.

Marie-Louise Zimmermann
(Berner Zeitung vom 24.8.2007)