BORNEO

Wo der Orang-Utan dem Nashornvogel
Gute Nacht sagt


Frei lebender Orang Utan und Nashornvogel am Kinabatangan. (Fotos: Tourasia)

Seltene Naturerlebnisse und ungewöhnliche Begegnungen lohnen den langen Flug auf die südost-asiatische Insel Borneo. In den malaysischen Nordprovinzen Sabah und Sarawak ermöglicht eine überraschend gut ausgebaute Infrastruktur individuelle Dschungelreisen ohne grosse Strapazen und Kosten.

Im ersten Tageslicht tuckert unser Boot den breiten Kinabatangan hinauf, längster Fluss der Provinz Sabah im Nordosten Borneos. Rasch lässt die heisse Sonne den Nebel über dem Wasser schwinden und den Urwald dampfen. Vielfältige Vogelstimmen haben das nächtliche Konzert der Zikaden und Baumfrösche abgelöst. In den Uferbäumen lärmen Nashornvögel mit bizarren Schnäbeln und ein Schlangenadler spreizt seine Flügel. Ein türkisfarbener Kingfisher pfeilt vorbei, auf einem Ast wärmt sich eine grosse Monitorechse.

Seltener Tierreichtum
Vom Wasser aus lassen sich Tiere viel leichter beobachten als auf glitschigen Dschungelpfaden, wo man über Felsbrocken und Wurzeln kraxelt, geplagt von Mücken und Blutegeln. Lautstark sind vor allem die vielen Affen: Auf einem Feigenbaum frühstückt eine Grossfamilie der nur auf Borneo vorkommenden Proboscis. Mit ihren langen Nasen und dicken Bäuchen sehen sie aus wie mürrische Greise, jagen sich aber akrobatisch durchs Geäst. Unbeeindruckt von ihrem Gekreisch fischt ein kleiner Makake am Ufer nach Krabben.

An einem schmalen Flussarm treffen wir endlich auf die Menschenaffen, die wir im Schutzgebiet von Sepilok vergeblich gesucht haben, weil sie auf entfernten Fruchtbäumen unterwegs waren. Nun hockt vor uns in einer Astgabel eine Orang-Utan-Mutter, über ihr klettert ihr Junges. Bei unserem Anblick holt sie es mit ihrem langen Arm zurück an den Bauch und schwingt sich elegant zum nächsten Baum. Bei einer weiteren Bootsfahrt in der Abenddämmerung sehen wir im Ufergras sogar ein Dutzend der noch selteneren Pygmäen-Elefanten.

Einheimische Gastgeber
Viele Tiere konzentrieren sich in diesem Rest Urwald, zunehmend eingekreist von Palmölplantagen, in denen kaum etwas von der Natur überlebt. Das macht auch Familienvater Osman Sorgen, dessen einfaches Haus in Sukau wir den komfortableren Lodges vorgezogen haben. Ans Duschen mit braunem Wasser aus der Schöpfkelle muss man sich zwar gewöhnen; doch die Betten sind sauber, die Moskitonetze intakt. Ehefrau Yanti spricht Englisch und findet neben der Betreuung ihrer sechs Kinder Zeit, uns das Dorf zu zeigen. Und der vierzehnjährige Sohn Otto bewährt sich als Bootsmann.

Die Familie, wie viele Einheimische vorwiegend vom bescheidenen Tourismus lebend, fürchtet die Rodung, die trotz der Bemühungen von Umweltorganisationen ungebremst weiter geht: Weniger zur Holzverwertung, als zu Gunsten der mit der Regierung verbandelten Plantagenkonzerne, deren Anbaugebiet noch verdoppelt werden soll. Palmöl gehört eben zu den wichtigsten Exportgütern des Landes, gefragt als billiger Bestandteil zahlloser Nahrungs- und Kosmetikprodukte oder als Treibstoff.

Zum Glück gibt es wenigstens ein paar Schutzgebiete: Besonders tierreich sind Danum Valley und Tabin in Sabah, leichter zu erreichen Bako in Sarawak. Berühmt ist im Norden dieser Provinz der Nationalpark von Mulu, ein von Urwald bedecktes, schroffes Kalkgebirge. Als Unesco Welterbe ausgezeichnet wurde hier das 380 km lange, teilweise gut erschlossene Höhlensystem: eine Traumwelt skurriler, im Wasser gespiegelter Tropfsteingebilde. Unvergesslich bleibt auch das Schauspiel der Millionen Fledermäuse, die allabendlich aus dem Höhlentor als wellenförmiges Band über den Himmel strömen.

In den Tropfsteinhöhlen, auf den Urwaldpfaden und Hängebrücken geführt wird man von einheimischen Dayaks aus dem Volk der Penan. Bei ihnen hat der seit zehn Jahren verschollene Bruno Manser gelebt. Ob er wegen seinem Protest gegen die Urwaldzerstörung umgebracht wurde oder verunglückt ist in dem schwierigen Gelände, kann Ranger Ismael nicht entscheiden. Er erinnert sich gut an den Schweizer Umweltaktivisten: „Der verrückte Kerl ist immer allein losgezogen, auch wenn Holzfäller in der Nähe waren.“

Kulturelle Vielfalt
Die meisten der früher nomadisierenden Penan sind sesshaft geworden. Bei unserem Besuch in ihrem Dorf beim Nationalpark sind sich die Frauen einig: „Hier leben wir besser, vor allem haben wir eine Schule für unsere Kinder und ein Gesundheitszentrum.“ Die Männer dagegen vermissen die Freiheit im Urwald, auch wenn sie immer noch jagen dürfen. „Mit dem Gewehr“, gesteht unser Führer, demonstriert aber eine erstaunliche Treffsicherheit mit dem Blasrohr. Zugleich ist er stolz auf seinen Erfolg als Missionar der Anglikanischen Kirche Borneos. „Jetzt können wir ohne Angst leben, weil Jesus uns vor den bösen Geistern beschützt“, erklärt er.

Christliche Dayaks, muslimische Malayen, buddhistische Chinesen und hinduistische Tamilen leben in Malaysia nebeneinander. Ihre Gotteshäuser und Feste, Läden und Restaurants bringen Farbe in die Provinzhauptstädte Kota Kinabalu und Kuching, deren Hochhäuser, Einkaufszentren und Verkehrsstaus sonst enttäuschend wenig exotisch wirken. Längst hat die gleichmacherische Moderne Borneo erreicht – allerdings auch mit guten Strassen und bequemen Bussen, die individuelles Reisen leicht machen.

Viel Lokalkolorit findet man immer noch auf den Nachtmärken am Hafen, wo in Dutzenden Garküchen der Fischfang des Tages und vielerlei Gemüse frisch zubereitet werden zu köstlichen, scharfen Gerichten. Dazu bekommt man als Fremde in diesem zum Glück tolerant islamischen Land sogar ein Bier.


Auf dem Nachtmarkt von Kota Kinabalu (Foto: mz)

Info und Tipps
Reisezeit: Ganzes Jahr tropisch schwül; relativ trocken Februar-April.
Transport: Direktflug Zürich-Singapur mit Singapore Airlines (13 Std.). Weiter nach Kota Kinabalu oder Sandakan (Sabah) und nach Kuching (Sarawak) mit Malaysia Airlines, Air Asia oder Silkair. Günstige Inlandflüge und gute Busse.
Anbieter: Empfohlener Spezialist: Tourasia, Wallisellen.
Unterkunft: Billig und gut in Osman’s Homestay (Sukau) und in den Hostels Paganakan Dii (Sepilok), Step-in (Kota Kinabalu), Nomad (Kuching) und Five Stones (Singapur).

Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen in der Berner Zeitung vom 13.4.2012)