PÉRIGORD

Wie Gott in Frankreich


Im Bilderbuchdorf St.Léon spiegelt sich die romanische Kirche in der Vézère. (Foto mlz)

Périgord: Das grüne Hügelland im Südwesten Frankreichs ist ein Wander- und ein Schlemmerparadies – keine schlechte Kombination! Man durchstreift Hügelwälder und Flussauen, wohnt in Bilderbuchstädtchen oder auf Landgütern und tafelt in gemütlichen Bistros oder auf bunten Märkten. Ueberdies locken die Zeugen einer uralten Kulturgeschichte.

So erträumt man sich «La douce France»: Die von goldenem Ginster gesäumte kleine Strasse führt durch einen Hügelwald aus Eichen, Kastanien und Föhren. Dann durchquert sie weite Wiesen, blühend in den Nationalfarben mit weissen Margeriten, rotem Mohn und blauer Salbei. Zwischen Obst- und Nussbaumgärten weiden hellbraune Rinder oder zottelige Schafe. Und unüberhörbar sind die Gehege mit Scharen von Gänsen und Enten, unfreiwillige Lieferanten von «Foie Gras». Doch viel fruchtbares Bauernland in den Départements Dordogne, Vézère und Lot der Provinz Périgord scheint ungenutzt: Man klagt über die Krise der Landwirtschaft und setzt vermehrt auf Tourismus.

So bieten viele Gehöfte Fremdenzimmer an. Oft sind es geschmackvoll restaurierte Herrensitze, gebaut aus dem honigfarbenen Kalkstein der Gegend um einen Hof mit üppig blühenden Rosen. Manche haben noch einen als Taubenschlag dienenden Rundturm. Sie zeugen von einer feudalen, kriegerischen Vergangenheit, ebenso die Ueberreste befestigter Dörfer, «bastides» genannt. Im Château de Commarque zum Beispiel kann man in ausgedehnten Ruinen herumklettern und die Wohnhöhlen erforschen. Aus der Renaissance stammen viele Schlösser, manche mit opulent ausgestatten Innenräumen. Klassisch sind auch ihre geometrischen Gartenanlagen aus phantasievoll geschnittenen Buchshecken wie die Jardins d’Eyrignac.

Atemraubende Steinzeitkunst
Doch die Kulturgeschichte der klimatisch bevorzugten Gegend reicht viel weiter zurück: Vor rund 20’000 Jahren schmückten nomadisierende Jäger der Nacheiszeit hier Kalksteinhöhlen mit Tierdarstellungen. In Lascaux bei Montignac entdeckten 1940 einheimische Burschen ein ganzes Höhlensystem mit diesen frühen Meisterwerken. Oeffentlich zugänglich gemacht, musste es 1963 geschlossen werden, weil eingeschleppte Mikroorganismen die Malereien bedrohten.

Als Ersatz schuf man 1983 eine Kopie, genannt Lascaux II, die aber vom Ansturm zunehmend überfordert war. Seit einem halben Jahr gibt es nun als Lascaux IV ein verbessertes Faksimile (Lascaux III bezeichnet eine ebenfalls neue Wanderausstellung) mit moderner Besucherführung und Information.

Das Erlebnis ist überwältigend: Im Dämmerlicht tauchen an Wänden und Decke des hohen, engen Höhlengangs galoppierende Pferde auf, kämpfende Urstiere, massive Bisons, schwimmende Rentiere oder Hirsche mit mächtigen Geweihen. Manche sind nur als schwarze oder geritzte Umrisse erkennbar, viele aber vollständig ausgemalt in Ocker oder Rot. Mit Lasertechnik wurde auch die Felsstruktur feinst reproduziert, welche die im Licht von Oellampen arbeitenden Künstler zur plastischen Darstellung der gegen 2’000 Figuren in ihrer Kultstätte nutzten. «Wir haben nichts Neues erfunden», soll Picasso bei dem Anblick gesagt haben.

In der Gegend gibt es noch eine Vielzahl kleinere Fundorte von Steinzeitkunst, die man (vorläufig noch) im Original in den Höhlen Font de Gaume und Combarelles in geführten Kleingruppen bewundern kann. Das Museum von Les Eyzies liefert detaillierte Erläuterungen dazu, allerdings nur auf Französisch. Attraktiver für Familien sind die «Parc Préhistoriques», wo man steinzeitliche Techniken erproben kann.

Wanderidylle und Bilderbuchorte
Das Tal der Vézère ist auch ein Wanderparadies: Insgesamt 675 km wurden ausgeschildert (wenn auch nicht auf Schweizer Standard), meist als kürzere oder längere Rundwege von einem Dutzend Orten aus. Ueberdies kreuzen die Weitwanderwege («Grande Randonnées») GR36 und GR64 das Gebiet. Und das stille Flüsschen eignet sich für ungefährliche Fahrten im Mietkanu. Eine typische Wanderung beginnt im Bilderbuchdort Saint Léon mit romanischer Kirche und idyllischen Beizlein am Wasser. Hoch über dem Ufer folgt man Kalksteinwänden voll geheimnisvoller Ueberhänge und Löcher und kehrt zurück über den Hügel, in dessen Wald sich aus Steinen geschichtete Rundhütten verstecken.

Ausserdem locken hübsche Kleinstädte zum Bummeln, allen voran das alte Zentrum von Sarlat-la-Canéda. Es illustriert jahrhundertelange Baugeschichte: Gotische Erdgeschosse wurden aufgestockt im Renaissancestil und gekrönt mit einem klassischen Lukarnendach. Trotzdem wirken die engen Gassen und grosszügigen Plätze einheitlich dank dem ockerfarbenen Kalkstein, der auch für die Kathedrale, den Bischofssitz und andere Paläste verwendet wurde.

Schön ist ebenfalls die Weinstadt Bergerac, wo man eine Bootstour auf der Dordogne unternehmen kann. Und lohnend der Provinzhauptort Périgueux mit seiner ganz andern Architektur aus Fachwerkfassaden. Hier hat der aus der Gegend stammende Architekt Jean Nouvel ein grossartiges Museum gebaut über einer ausgegrabenen gallo-römischen Villa.

Schlaraffenland der Märkte
Natürlich ziehen solche Orte Touristenscharen an. Doch sie mischen sich mit vielen Einheimischen auf den Wochenmärkten, die es vielerorts gibt, besonders  reichhaltig in Saint-Cyprien. Kindskopfgross sind hier die Artischoken, reif die Ochsenherztomaten und die Früchte aus den lokalen Obstgärten. An manchen Ständen türmen sich Büchsen und Gläser mit Foie Gras oder Confit de Canard, andere bieten Dutzende Käsesorten. Es duftet nach Nusskuchen und karamellisierter Apfeltarte. Noch üppiger präsentieren sich im Juli und August die Nachtmärkte, wo man an langen Tischen tafelt und den süffigen Wein aus den Rebergen von Bergerac geniesst. Und zur Trüffelzeit füllen Gourmets von weit her die vielen einladenden Gaststätten. Leben wie Gott in Frankreich ist in dieser gesegneten Gegend kein leeres Versprechen.

Wie echt wirken die kopierten Wandmalereien der Höhle von Lascaux. (Foto zvg)

 

Info und Tipps

Anreise: Easyjet oder TGV (über Paris) nach Bordeaux. Dort Mietauto (OeV spärlich)

Reisezeit: April-Oktober. Frühling nass, Sommer überlaufen, Herbst golden.

Unterkunft, Routen: Broschüren oder Internetseiten der Tourismusbüros in Montignac und Les Eyzies. www.lascaux-dordogne.com Tel.+33(0)5 5306 8600.

Karten/Führer: Karte 1:75’000/IGB Périgord Noir. Führer: Dumont: Dordogne; Michelin (dt.): Périgord/Dordogne; Wanderführer: Stefanie Holtkamp: Im Tal der Dordogne (Naturzeit Reiseverlag).

Höhleneintritte: Lascaux IV (Centre Internationale d’Art Pariétal) : www.lascaux.fr Tel.+33 (0)5 5305 6560. Individueller Eintritt kurz nach Oeffnung auch unreserviert möglich. Frühe Buchung nötig für Font-de-Gaume und Combarelles: fontdegaume@monuments-nationaux.fr

Lektüre:  Die Tatorte von Martin Walkers Wohlfühlkrimis um den sympathischen Polizeichef und Gourmet Bruno erkennt man überall im Périgord. Die Buchhändlerin im Städtchen Le Bugue, Vorbild zu dessen Wirkungsort Saint-Dénis, sagt zwar, der schottische Autor sei nur noch selten hier. Doch stimmig beschreibt er Land und Leute in seinem neusten Fall um ein Oldtimer-Rally. Das gilt auf für den schönen Fotoband mit Rezepten und Produzentenporträts der Gegend. Und die persönlichen Tipps in seinem Périgord-Führer bewähren sich (alle Bücher im Diogenes Verlag).

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der Berner Zeitung vom 21.7.2017)