OBENSIMMENTALER HAUSWEG

Schönste Schweizer Bauernhäuser

Haus Aegerten
Gut erhalten und musterhaft restauriert ist dieses 236jährige Wohnhaus in der Aegerte bei Lenk. (Fotos: Alexander Egger)

Nirgendwo sonst in unserem Land gibt es so viele markierte Wander- oder Velorouten zu architekturhistorisch interessanten Gebäuden wie im Kanton Bern. Einer der ältesten und ergiebigsten Hauswege findet sich im oberen Simmental. Er führt zu gegen vierzig Bauernhäusern mit reichem Fassadenschmuck aus Schnitzwerk, Malerei und Schriftbändern.

Diesen Aufwand  leistet sich im 18. Jahrhundert eine bäuerliche Oberschicht, reich geworden durch Viehzucht und Käsehandel. Die berühmten Milchkühe werden bis nach Mailand exportiert und sogar ins ferne Russland. Die repräsentativen Wohnhäuser sind das Werk begabter Handwerker aus dem Tal.
Hoch geachtet werden vor allem die Zimmermeister, die ihre Kunst oft von Vater zu Sohn weitergeben. In den Schriften an den Fassaden verewigen sie sich stolz neben ihren Auftraggebern. Erwähnt mit ihrem ledigen Namen sind immer auch die Ehefrauen, deren Mitgift nicht selten den Bau mitfinanziert hat. Einige Häuser nennen sogar eine rein weibliche Bauherrschaft.

Jahrhunderte alte Tradition
Das typische Bauernhaus der Berner Alpenregion wird zum Vorbild für die weltweit beliebten Chalets. Mit kleinen Varianten bleibt die Konstruktion über Jahrhunderte gleich: Auf einem Sockel aus weiss verputzten Bruchsteinmauern stehen zwei hölzerne Stockwerke. Die Fassade des Erdgeschosses ist geständert, das übrige Gebäude in Blockbauweise errichtet. Mit schweren Steinen beschwerte Holzschindeln decken das flach geneigte Satteldach.
Das Wohngeschoss wird quer geteilt: Hinter der tal- oder strassenseitigen Giebelfront liegen zwei bis drei, manchmal sogar vier Stuben, dahinter die Küche. So bleibt der Wohn- und Schlafbereich rauchfrei. Darüber dienen die dunklen, ungeheizten Gaden als Vorratsräume, aber auch als Schlafkammern für grössere Kinder und Gesinde. Man erreicht sie über eine Treppe aus der Küche oder durch ein Deckenloch über dem Stubenofen.
Obwohl Glas teuer ist, spart man nicht an Fenstern, vor allem im Wohngeschoss. Dicht reihen sie sich aneinander, anfänglich mit runden Butzen, später mit kleinteiligen Rechteckscheiben verglast. Meist betritt man das Haus durch die Küche über die traufseitige Laube; gelegentlich schmücken auch Freitreppen die Giebelfront. Manche Häuser dienen zwei Familien und werden deshalb in der Mitte vertikal geteilt, oft auch seitwärts angebaut.

Geschnitzte und bemalte Fassaden
Was die Bauernhäuser im Simmen-, Diemtig- und Kandertal wie im Saanenland auszeichnet, ist der reiche Schmuck ihrer Fassaden. Um 1550 beginnen die Zimmerleute, sie mit geschnitzten Friesen zu verzieren, anfänglich mit einfachen Rillen, später mit raffinierten Würfel- oder Rautenreihen. Ebenfalls mit dem Messer bearbeitet man die Fensterpfosten oder Konsolen, und Flachschnitzereien überziehen die Freiflächen. Jahrzahlen und Namen werden eingeschnitten in der einfachen römischen Antiqua Schrift.
Ab Mitte des 17.Jahrhunderts bemalt man die Fassaden gerne mit Rot, Weiss, Grün und Blau, in der Lenker Gegend auch mit Gelb. Das 18. Jahrhundert bringt den Höhepunkt der Fassadenmalerei, ausgeführt von Spezialisten, die auch Möbel und Hausgerät verzieren.  Die aufwendigen Buchstaben der Schriftbänder in gotischer Fraktur kopieren sie aus Musterbüchern von Notaren. In der Regel ohne Schulbildung, mischen sie Schriftsprache mit Mundart. Anders als die Zimmermeister bleiben sie aber trotz ihrem Können in der Regel anonym, so dass sich ihr Werk meist nur stilistisch zuordnen lässt.

Unterscheidbare Dekorationsstile
Auch wenn sich die Motive über Jahrhunderte wiederholen, entwickeln sich doch verschiedene Malweisen, beeinflusst vom Zeitgeschmack. Man unterscheidet einen Älteren und Jüngeren Simmentaler Stil sowie eine Lenker und Saaner Schule Besonders reich ist der zwischen 1690 und 1720 entwickelte Kalligraphenstil, der Schriftbänder mit pflanzlichen und geometrischen Mustern verbindet. Wichtiger als die einzelnen Elemente ist aber der Gesamteindruck der Fassade, deren dichte Komposition von kreativer Phantasie und handwerklicher Meisterschaft zeugt.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschwinden die Haussprüche – um im 20. Jahrhundert wieder aufzutauchen. Denn die Zimmermannskunst lebt weiter in dem traditionsbewussten Tal, was manch gelungener Holzbau aus unserer Zeit beweist.

Fassade Oberegg
Gotische Schriftbänder und bunte Malerei kennzeichnen den Kalligrafenstil.

Gut zu wissen:

Der 40 km lange Hausweg zu 39 Objekten ist zu Fuss nur in Etappen. machbar: Wanderzeit Boltigen – Zweisimmen und Zweisimmen – Lenk je ca. 4 h.. Viel Asphalt, besser per Velo.
Weniger Hartbelag auf Rundwegen Lenk-Oberried oder Lenk-Gütsch (je 2-3 h).

Routen und Gebäude mit braunen Wegweisern signalisiert.

Ausführlicher Prospekt mit Routenplan bei tourismus@zweisimmen.ch oder info@lenk-simmental.ch. Auch auf Internet: www.hauswege.ch und als App: mobile.hauswege.ch

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen Oktober 2014 in der Broschüre „Berner Hauswege“ der Gebäudeversicherung Bern)