Schön wandert sich’s in der Weite der Seiser Alm (Bild: zvg)
Nicht weit von der Provinzhauptstadt Bozen findet man unzerstörte Berglandschaften, durchzogen von einem dichten Netz gepflegter Wanderwege. Geniessen kann man auch die einzigartige Mischung von nördlicher mit südlicher Kultur und Kulinarik.
So viel Weite gibt es im Alpenraum sonst nirgends: Sanft gewellt breiten sich die Wiesen und Weiden der Seiser Alm, durchsetzt von kleinen Waldstücken aus Lärchen, Fichten oder Zirbelkiefern. Wie von Kinderhand verstreut liegen auf dem grünen Teppich Bergbauernhöfe, Sennhütten und Heuschober. Und dahinter ragen die hellgrauen Felstürme, Zacken und Nadeln der Dolomiten in den grossen Himmel.
Im Bergfrühling sind die Weiden bestickt mit Alpenblumen, im Sommer blühen bunte Heuwiesen. Der Herbst leuchtet im Gold der Lärchen, und die winterliche Schneedecke macht die Konturen noch weicher.
Idyllische Seiser Alm
Fast 60 km2 misst die nahe bei Bozen auf rund 1’900m gelegene Seiser Alm. Im Süden ist die Hochebene begrenzt von den imposanten Kletterbergen des Schlern- und Rosengartenmassivs, mit denen sie seit 1974 den ältesten Naturpark Südtirols bildet.
Geschützt wird hier nicht Wildnis, sondern eine seit Urzeiten mit Bauernfleiss gepflegte Kulturlandschaft. Dass man sie auch touristisch nutzt, vor allem im Winter, beweisen zahlreiche Liftmaste und Pistenspuren. Doch üble Bausünden gibt es kaum. Die wenigen grösseren Hotels konzentrieren sich im einzigen Weiler Compatsch; ausserhalb findet man vorwiegend Familienbetriebe.
Als Segen erweist sich die Verkehrsbeschränkung, die zwischen 10 und 17 Uhr nur einheimische Nutzfahrten erlaubt. Statt Autos trifft man deshalb auf den Strassen (meist mit Naturbelag) vor allem Pferdekutschen, Mountainbiker und jede Menge Wanderer, die sich aber im weitläufigen Gebiet verteilen.
Geführte Wanderungen
„Steige“ nennt man hier die gut markierten Pfade, auf denen das Wandern ohne grosse Höhenunterschiede zum reinen Genuss wird. Ganz Bequeme lassen sich von einer der Seilbahnen in die Höhe tragen, wo die Aussicht bis zu den Schweizer und Oesterreicher Schneebergen reicht. Vielerorts locken bewirtete Bauernbetriebe, „Schwaigen“ genannt, mit dem berühmten Tiroler Speck und Alpkäse.
Ehrgeizigere besteigen den Schlern und den Plattenkofel oder unternehmen die Antermoia-Runde ins Rosengartenmassiv: lauter spektakuläre Bergtouren, die keine Kletterei, aber Trittsicherheit und Ausdauer erfordern.
Dabei kann man sich führen lassen von Walter Sattler im Wanderhotel Icaro Der Hotelier offeriert seinen Gästen kleine oder grosse Touren und berichtet dabei kurzweilig über die Gegend, die er seit Jahrzehnten kennt. So weiss er genau, wo man Edelweiss finden oder Wild beobachten kann. Derweil sorgen Ehefrau Irmgard und Tochter Angelika fürs leibliche Wohl. Dazu gehören eine gute Küche und ein neuer Wellnessbereich mit Panorama-Sauna, Indoor-Pool und Heu-Ruheraum.
Traditionelles Sarntal
Touristisch viel weniger erschlossen ist das Sarntal nördlich von Bozen. Lange nur über eine prekäre Schluchtstrasse erreichbar, hat die Gegend viel von ihrer Ursprünglichkeit bewahrt. Landflucht kennt man hier kaum; die über fünfhundert, meist im Nebenerwerb betriebenen Einzelhöfe an den Steilhängen werden sorgfältig erhalten. Ein schönes Beispiel ist das öffentlich zugängliche Rohrerhaus in Sarntheim.
In diesem kleinen Hauptort trägt man für den sonntäglichen Kirchgang vielfach noch Tracht, zu der für die Männer ein breiter bestickter Ledergurt gehört. Die alte Kunst der Federkielstickerei beherrscht Katharina Stuefer im Dorf Astfeld. Bei ihr kommt vorbei, wer auf problemlosen Wegen im Duft von Heu und Harz das Tal umrundet.
Zur Erholung empfiehlt sich das Hotel Bad Schörgau, das gediegenen Komfort mit originellem Lokalkolorit verbindet: Da gibt es in einer Waldwiese eine rustikale Sauna, einen Pool ohne Chlor oder einen mit Holz beheizten Whirlpool. Das Wellness-Angebot nutzt heilkräftige Latschenkiefern, die auch einige der exquisiten Gerichte im Gourmet-Restaurant würzen. Der junge Direktor Gregor Wentner kennt sich aus mit Kraftorten, führt seine Gäste gern zu den geheimnisvollen „Steinmoandeln“.
Friedliche Vielfalt
Sollte es im sonnenverwöhnten Südtirol doch einmal regnen, lockt die attraktive Hauptstadt Bozen mit ihren bunten Erkerhäusern und den Lauben voll eleganter Geschäfte. In den Gaststätten am grossen Walther-Platzes laben sich Hiesige wie Touristen an Apfelstrudel oder Gelati, Bruschetta oder Schlutzen: Die Speisekarte spiegelt zwei Kulturen.
Das ist das Happyend einer tragischen Geschichte. Denn nach dem 1. Weltkrieg musste Oesterreich das begehrte Durchgangsland als Siegesbeute an Italien abtreten; danach begann ein langer Kampf um Autonomie. Noch heute sprechen gut zwei Drittel der Einheimischen einen deutschen Dialekt, und sie hangen an ihren Traditionen. In Südtirol gibt es mehr Blechmusikvereine als Ortschaften, und bei kirchlichen Prozessionen ist alles auf den Beinen. Doch längst versteht man sich zweisprachig und freut sich an einem Wohlstand, der das übrige Italien neidisch macht.
Davon zeugen auch die guten Museen in Bozen. Nicht verpassen sollte man die faszinierende Ausstellung rund um die „Oetzi“ genannte Gletschermumie, der wir viel neues Wissen über unsere frühe Lebensweise verdanken. Schon vor gut fünftausend Jahren ist der Steinzeitmensch über die Tiroler Berge gewandert – aber bestimmt nicht so genussvoll wie wir.
Fronleichnamsprozession in Bozen (Bild: mlz)
Gut zu wissen
Anfahrt: Zug nach Bozen via Mailand-Verona oder Innsbruck-Brenner. Kompliziert, aber lohnend: Zug/Postauto via Zernez-Ofenpass-Meran. Ab Bozen Bus/Seilbahn auf Seiser Alm, Bus nach Sarntheim. Günstiges Tiroler GA für 3 oder 7 Tage für Oev und Museen.
Führer/Karten: Viel Auswahl im Kompass, Tappeiner und Athesia Verlag, vorrätig in der Buchhandlung Athesia, Bozen. Gute Info und Stadtführungen im dortigen Tourismusbüro..
Unterkunft: Empfehlenswert die Verwöhnhotels Icaro (Seiser Alm) und Bad Schörgau (Sarntheim), auch die Jugendherbergen Bozen und Brixen mit Einzelzimmern.
www.dolomitesworld.com
www.urlaub-bozen.com
Marie-Louise Zimmermann
(erschienen im Magazin „wandern-randonner“ 2013/3)