GRIECHISCHE INSELN

Hier ist die Krise weit weg


Asphodeles-Lilien am Weg nach Katapola (Bild: mlz)

Im Frühling oder Herbst verlocken die Kykladen-Inseln Naxos und Amorgos  zum Wandern. Unterwegs auf einsamen Wegen entdeckt man weisse Bergdörfer, antike Tempelreste, byzantinische Gotteshäuser. Und man geniesst das bunte Leben in den Tavernen der schönen Hauptorte. Von der Krise spüren Touristen wenig.

Steil führen die Stufen zwischen Trockenmauern hinauf durch Olivenhaine und Wiesenterrassen. Hier fügt sich das Gelb und Weiss der Margeriten mit dem Rot von Mohn und Winden und dem Violett der Disteln und Zistrosen zu einem bunten Teppich. Im Bachbett wuchert rosa Oleander, unter einem Feigenbaum überraschen die riesigen Blüten eines seltenen Aaronstabs. Süss duften in der Sonne Ginster und Geissblatt, Thymian, Kamille und Lavendel.
Der Weg ist gepflastert mit Bruchstücken von hellem Marmor, der auf Naxos seit über zweitausend Jahren abgebaut wird und heute als billiges Baumaterial dient. Die Platten wurden aufgeraut, um Eselshufen besseren Halt zu bieten. Gelegentlich begegnet man noch einem der geduldigen Tragtiere, die früher die Bergdörfer versorgten. Doch seit mit EU-Geld die Strassen ausgebaut wurden, gehören die alten Verbindungswege den Wanderern.

Anstrengung und Belohnung
Man erwarte aber keinen Sonntagsspaziergang! Wegweiser oder Markierungen sind rar,  manche Pfade überwachsen oder ganz verschwunden, die erhältlichen Karten nicht vergleichbar mit schweizerischen. Oft muss man deshalb versuchen, den gedruckten Wegbeschreibungen zu folgen. Man kämpft sich durch Dornen, überklettert Zäune, quert schwitzend einen rutschigen Hang. Und freut sich trotzdem an den roten Wolfsmilchbüschen, die wie kleine Feuer im grauen Geröll leuchten.
Zum Glück wurden auf Naxos für die in der Nebensaison hochwillkommenen Wandertouristen einige beliebte Routen in Stand gestellt: Etwa zum schön gelegenen Tempel der Demeter, zu den „Kouros“ genannten Jünglingsstatuen oder zu attraktiven Bergdörfern wie Chalki, Filoti, Moni oder Apiranthos. Dort geniesst man in schattigen Tavernen die einfachen Gerichte aus lokalen Produkten: Tomaten und Gurken schmecken wie sie sollten, der Frischkäse auf dem Salat schmilzt im Mund, das Olivenöl duftet grün. Und im Frühling gibt es zartes Lamm oder Gitzi, mit Kräutern und Knoblauch gewürzt.

Lebendiges Brauchtum
Am Ostersonntag wird man vielleicht sogar zu einem familiären Grillbraten eingeladen. In der Nacht vor diesem grössten Fest des orthodoxen Kalenders versammelt sich fast die ganze Bevölkerung in oder vor der Kirche – weniger zum Beten, als zum Schwatzen und auf das Feuerwerk warten, mit dem sich die Dörfer gegenseitig übertreffen. Gut, dass Angela Merkel das nicht sieht! Wer empfindliche Ohren hat, flieht aber vor der Dynamitkracherei in Naxos besser auf eine kleinere Insel.
Besonders schön ist das wenige Fährstunden entfernte Amorgos. Hier gedeiht der Tourismus noch auf bescheidenem Niveau, im Gegensatz zu den total überlaufenen Inseln Mykonos oder Santorin. Entsprechend freundlich wird man empfangen, sogar mitgenommen zu einem der zahlreichen Heiligenfeste. So wandert man mit den Dörflern vorbei an weidenden Ziegen und Schafen zum hoch gelegenen Kirchlein des Johannes Theologos. Nur der alte Pope, der die Prozession anführt und nachher zur Suppe für alle einlädt, reitet auf Eselsrücken.
Bewirtet wird man auch im hoch über dem türkisblauen Meer gelegenen Felsenkloster Hozoviotisa, vom  schönen Hauptort Chora aus zu Fuss erreichbar. Der Hafenort Katapoula  lässt sich ebenfalls erwandern; doch attraktiver ist Eghiali, der andere Fährhafen mit kleinem Badestrand.

Sanddünen und Altstadtlabyrinth
Die schönsten Strände der ganzen Aegaeis liegen jedoch an der Westküste von Naxos. Der nördlichste Teil der mit Wachholderkiefern bewachsenen Dünen steht sogar unter Naturschutz. Sauber wirkt auch, angrenzend an Naxos-Stadt, der flache Sandstrand von Agios Georgios. Hier gibt es die meisten Unterkünfte, vorwiegend Studios mit Kochgelegenheit.
Wer lieber näher beim Hafen und Busbahnhof wohnt, findet in der Altstadt sympathische Alternativen. „Chora“, wie die Einheimischen ihre Hauptstadt nennen, ist ein Juwel: Am Steilhügel unter dem venezianischen Kastell breitet sich ein Labyrinth malerischer Gässchen voll kleiner Läden und Tavernen. Und den von einem antiken Tempeltor bewachten Hafen säumt eine breite Promenade.
Ueber Ostern tafelten hier in den Restaurants vor allem Touristen aus Athen, und im Hafen ankerten dicke griechische Yachten. Als Inselbesucher realisiert man die Krise erst auf Nachfrage. Dann klagen die Menschen über verlorene Arbeit, gekürzte Renten, gestiegene Lebensmittel- und Benzinpreise. Und schimpfen, dass sie wegen den bösen Deutschen jetzt Steuern bezahlen sollen. Kaufquittungen oder Hotelmeldezettel bekommt man allerdings selten zu sehen.


Im Hafen von Naxos (Bild: mlz)

TIPPS UND INFOS

Beste Reisezeit:
Mitte April-Mitte Juni und September-Oktober. Juli-August heiss und überlaufen. Wetter unvorhersehbar: meist windig, Frühling manchmal nass, Spätherbst noch badewarm.

Transport:
Flug nach Athen, besser nach Mykonos oder Santorini. Stabile Fähren nach Naxos und Amorgos, in Nebensaison mit eingeschränktem Fahrplan. Busse fahren oft zeitlich ungünstig. Erschwingliche Taxis und Mietwagen.

Geführte Wanderungen:
Die einheimische Stella Korre kennt Wege, Pflanzen und Brauchtum: 
www.naxoshiking.com
. Baumeler und Imbach organisieren Wanderferien auf vielen griechischen Inseln.

Karten/Führer:
Beste Karten im Terrain-Verlag, Naxos 1:40’000 und Amorgos 1:35’000, mit Wegbeschreibungen. Gut sind diese auch im Naxos-Führer des Michael Müller Verlags, weniger in den Kykladenführern des Dieter Graf Verlags.

Unterkunft:
Zahlreich, in Nebensaison spontan buchbar und günstig. Empfohlen in Naxos/Altstadt: Hotel Panorama, Studios Burgos. In Agios Georgios: Studios Kalergis. In Amorgos/Eghalia: Studios Fanis (keine website, Anthi.Grispou@yahoo.gr); Resort Lakki Villages.

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der Berner Zeitung vom 28.6.2013)