WALES

Wanderparadies für Wetterfeste

Waliser Dorf in sommerlicher Blumenpracht

Wales ist unter hiesigen Wanderlustigen erstaunlich wenig bekannt. Dabei erschliesst in dieser Westecke Grossbritanniens ein gepflegtes Netz von Naturwegen idyllische oder spektakuläre Landschaften, und hübsche Dörfer bieten gemütliche Unterkunft. Nur das Wetter ist Glückssache.

Auf und ab schlängelt sich der Küstenpfad durch goldgelb blühende Ginsterbüsche und rotviolette Teppiche von Heidekraut. Möwen tauchen kreischend in die Wellen, die tief unten gegen die dunklen Steilklippen schäumen. Der Salzwind treibt Böenschauer durchs Land, doch bald darauf wölbt sich wieder ein Regenbogen über der mittelmeerblauen Irischen See. Für mehr als ein Fussbad ist das Wasser allerdings zu kalt, wenn man steil hinunter den weissen Sandstrand in der schmalen Bucht erreicht hat.

Auf dem Küstenpfad
Der Pembrokeshire Coastal Path, einer der attraktivsten unter den fünfzehn nationalen Weitwanderwegen, führt dreihundert Kilometer weit von Amroth nach Cardigan und erschliesst das älteste Naturschutzgebiet der britischen Insel. Mit ein wenig Glück kann man hier Seehunde mit ihren Jungen oder Delphine beobachten, mit Sicherheit vielerlei Meer- und Watvögel. Die schönsten Abschnitte liegen zwischen Dale und Martin’s Haven oder Solva und Whitesands Bay.
Man sollte die Strecke von Süden nach Norden begehen, weil so die Landschaft von Tag zu Tag spektakulärer wird und man überdies den Wind meist im Rücken hat. In den Sommermonaten sind hier viele, fast ausschliesslich englischsprachige Wandersleute unterwegs, die gerne stehen bleiben für einen kleinen Schwatz über das launische Wetter.
Wer ihm nicht täglich ausgesetzt sein will, wählt ein Standquartier – am besten im lebendigen Ferienort St. David’s. Hier finden in einer der schönsten Kathedralen des Königreichs während der Saison Konzerte und Theateraufführungen statt. Auch Bootsausflüge entlang der zerklüfteten Küste werden angeboten. Zu Fuss erkunden kann man diese etappenweise, dank dem im Sommer zirkulierenden Wanderbus „Puffin Express“.
Sehr lohnende einsamere Wanderungen gibt es auch an anderen Küstenabschnitten, vor allem auf den Halbinseln von Gower, Lynn und Anglesay.

Ueber den Königswall
Berühmt und trotzdem erstaunlich wenig begangen ist die ebenfalls gegen dreihundert Kilometer lange Route entlang „Offa’s Dyke“ von Chepstow nach Rhyl an der Grenze zwischen Wales und England. Im 8. Jahrhundert liess hier der englische König Offa einen acht Meter hohen und rund dreissig Meter breiten Erdwall aufrichten gegen die kriegerischen Nachbarn. Dieser Chinesische Mauer en miniature, die sich als grünes Band von Hügel zu Hügel zieht, folgt mit kleinen Abweichungen der gut markierte Wanderweg.
Die Landschaft zeigt sich hier lieblicher als an der wilden Küste: Man durchquert, fast immer auch weichen Naturwegen, Eichenwälder und Hochmoore, folgt einem frei fliessenden Gewässer durch ein idyllisches Tal und überwindet von Burgruinen gekrönte Hügel, weiter nördlich auch Bergketten. Dabei klettert man auf kleinen Holzleitern über unzählige Zäune und begegnet viel mehr Schafen als Wanderkollegen.
Zu entdecken gibt es hübsche alte Dörfer, deren walisische Namen man nicht auszusprechen weiss. Niedrige Häuser aus grauem Bruchstein, von Rosen umrankt, verstecken sich hinter üppig blühenden Hortensienbüschen. Und in einem gemütlichen Pub stillt man den Durst mit einheimischem Apfelwein.

In den Bergen
Das berühmteste Wandergebiet von Wales liegt aber im Norden, rund um den 1085 hohen Mount Snowdon. Verwöhnt von den Schweizer Eisriesen, ist man von dem kahlen Gipfel eher enttäuscht. Und den zugegeben eindrücklichen Weitblick muss man teilen mit Touristenscharen, die sich im Bähnchen hoch tragen liessen.
Eindrücklicher sind die nahe gelegenen einstigen Schieferbergwerke, deren Bedeutung man im Museum von Llanberis nacherleben kann. In den wie moderne Skulpturen geformten schwarzen Felsen am Nordufer des Llyn Padarn Sees üben sich Kletterer, und in Blaenau kann man tief in die finsteren Kavernen eindringen.

Schauen, essen, schlafen
Es gibt noch viele andere Möglichkeiten, einen Schlechtwettertag zu nutzen. Empfehlenswert sind zum Beispiel (von Süden nach Norden aufgezählt): das walisische Freiluftmuseum und die reiche Kunstsammlung der Hauptstadt Cardiff; das kurzweilige Historische Museum von Aberystwych; das anregende Zentrum für Alternative Technologien in Machynlleth; die gut erhaltenen Festungen von Harlech (mit Mittelalterspektakel) und Caernarfon; das nach italienischem Vorbild gebaute Städtchen Porthmadog. Und paradiesisch blühen die Parkanlagen: vor allem der riesige Botanische Garten mit dem berühmten Glasdom bei Carmarthern oder Bodnant Gardens bei Llandudno.
Unterkunft findet man in allen Kategorien, von komfortablen Kleinhotels bis zu geselligen Backpacker Hostels – vorausgesetzt, man hat in der Saison frühzeitig reserviert. Persönlich betreut wird man meist in den vielen „Bi & Bi’s“ (Bed and Breakfast), wo man zwischen Blümchentapeten oder unter Ahnenbildern schläft und wo einem oft gegen Entgelt der Rucksack zum nächsten Uebernachtungsort gebracht wird. Noch komfortabler sind die in manchen Gegenden angebotenen Gruppentouren mit Gepäcktransport.
Das Essen erweist sich vielerorts als überraschend gut: mit allem, was das Meer hergibt, mit würzigem Lammbraten und regionalem Käse. Und das handfeste Frühstück mach fit für den nächsten Wandertag – in Sonne oder Regen, je nachdem

Unterwegs auf dem Coastal Path. (Fotos: mlz)

Tipps und Infos
Beste Reisezeit: Juni bis September; Juli/August in den Touristengebieten sehr voll.
Anreise: Günstigster Flug mit easyjet von Genf nach Bristol, weiter per Bus. Lokale Zugs- und Busverbindungen.
Information: www.visitwales.co.uk; www.offasdyke.demon.co.uk. Bei diesen Adressen auch gute Broschüren und Unterkunftsverzeichnisse bestellbar.
Führer und Karten: Lonely Planet: Wales (englisch), Besser Reisen: Wales (deutsch). Karten in lokalen Buchhandlungen und Tourismusbüros oder bei www.harveymaps.co.uk.

Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der Berner Zeitung vom 4.7.2008)