Der Sprachforscher Werner Marti ist ein unermüdlicher Schaffer: aus Leidenschaft für unseren Dialekt, dem er wissenschaftliche Werke, Romane und Zeitungskolumnen gewidmet hat. Dieser Tage kann er in Biel seinen 90. Geburtstag feiern.
Behäbig steht das dunkelbraune Chalet im grossen Garten voll reich behängter Obstbäume und bunter Blumenrabatten an der Bieler Lindenstrasse: ein passendes Heim für Werner Marti. „Ig bi i im Härze haut immer e Purebueb blibe, o wen i scho lang i dr Schtadt wohne“, sagt der bald Neunzigjährige. Beim grossen Feigenbaum am Teetisch, liebevoll gedeckt von seiner Frau Susi, erinnert er sich an die Anfänge seines Engagements für das Berndeutsch:
Stiller Schaffer
Aufgewachsen ist Werner Marti im Seeländer Weiler Vogelsang bei Rapperswil. Von seiner glücklichen Kindheit hat er viele Jahre später in seinen Kolumnen für das Bieler Tagblatt erzählt, von denen eine Auswahl unter dem Titel „Chlepfe uf der Geisle“ 2005 in Buchform erschienen ist.
Sprache wurde in seiner bäuerlichen Familie hoch geschätzt: Der Vater habe Gedichte geschrieben und alle Schillerballaden auswendig gekonnt, berichtet Werner Marti. Sein eigenes Interesse galt aber seit jeher unserem Dialekt: Schon als Seminarist habe er beschlossen, die noch fehlende Grammatik dazu zu verfassen. Deshalb erwarb er später die Fernmatur und an der Uni Bern einen Doktortitel für Sprachwissenschaft.
„Das waren arbeitsreiche Jahre“, erinnert sich Marti: Neben dem Schuldienst, Familienpflichten und dem Engagement in der Landeskirche investierte er viel Zeit ins neu erworbene Heim und den Ausbau des Hühnerstalls zur Schreibklause. Hier entstanden in Nachtarbeit ein Leitfaden für berndeutsche Schreibweise und über siebzehn Jahre weg die „Bärndütschi Grammatik“, die 1985 seinen Ruf als Dialektwissenschaftler begründete. So hartnäckiger Einsatz für ein Buch, das nur Fachleute verstehen? „Was ich einmal angefangen habe, mache ich fertig“, lächelt der stille Schaffer. Dass sich nur ein kleiner Kreis für sein Werk interessiert, stört ihn nicht.
Detailgenauer Romancier
Aehnliches gilt für die beiden grossen historischen Mundartromane, die er nach seiner Pensionierung vom Bieler Lehrerseminar verfasst hat: „Niklaus und Anna“ (1995) aus der Epoche der Napoleonischen Kriege und „Dä nid weis was Liebi heisst“ (2001) aus den Jahren vor dem 1. Weltkrieg.
Für den ersten erhielt er den Berner Buchpreis, nach dem zweiten wurde er zum „Bieler des Jahres“ ernannt. Es sind sorgfältig recherchierte sozialkritische Zeitbilder voll farbiger Details, die wohl auf Deutsch geschrieben ein breiteres Echo gefunden hätten. „Doch dann wären sie weniger gut geworden und wohl bald vergessen gegangen. So aber werden sie wohl noch in zwanzig Jahren gelesen“, meint der Autor selbstbewusst. Deshalb hofft er auch, dass sich der Zytglogge Verlag zu einer Neuauflage entschliesst.
Kritischer Geist
„Wenn ich berndeutsch schreibe, kann ich den emotionalen Bodensatz der Sprache nutzen, ihre Nähe zu den Menschen“, erklärt Werner Marti seine Vorliebe für die Mundart. Dagegen wirken auf ihn die deutsch schreibenden Schweizer Kollegen oft gekünstelt, ihre Dialoge papieren.
Kritisch äussert er sich auch zu manchen heutigen Dialektautoren, findet ihre Sprache manieriert oder gar vulgär. Trotzdem gibt es neben Textbeispielen von Kurt Marti (mit dem er nicht verwandt ist) oder Mani Matter auch solche von Polo Hofer im demnächst erscheinenden „Berndütsch Rym-Wörterbuech“, das er zusammen mit Werner Hiltbrunner zusammengestellt hat. Wer als Gelegenheitsdichter nicht immer nur Härz mit Schmärz kombinieren will, findet darin 8’000 Reimwörter.
Verteidiger der Mundart
Werner Marti freut sich, dass zunehmend Mundart geschrieben wird. „Aber man muss sorgfältig umgehen mit unserer Muttersprache!“ Deshalb hat er auch den Verein für Bärndütsch gegründet und lange präsidiert. Doch plädiert er nicht etwa für das Konservieren kaum mehr gebräuchlicher Ausdrücke, die er ja selber auch nicht benutzt. Anglizismen oder andere Modeerscheinungen stören ihn weniger als die zunehmend aus dem Deutschen übernommenen Wörter wie „Schultere“, „Träppe“ oder „Kuss“ für „Achsle“, „Schtäge“ und „Müntschi“.
Nicht zuletzt deshalb wehrt er sich vehement gegen die Forderung, die Mundart aus dem Kindergarten zu verbannen: „Damit hilft man den fremdsprachigen Kindern überhaupt nicht, sie können sich doch nur über den Dialekt integrieren.“
Seinen eigenen sieben Kindern hat er das „zwe Manne, zwo Froue, zwöi Ching“ noch beigebracht. Die neunzehn Enkel und dreizehn Urenkel lässt er aber schwatzen wie sie wollen, wenn sich die grosse Sippe am 5. September zum runden Geburtstag versammeln wird.
Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der Berner Zeitung vom 31.8.2010)