Grösster buddhistischer Tempel: Die Shwedagon Pagode in Yangon.
Ob es nach dem Wahlsieg der Opposition wirklich aufwärts geht in dem noch immer vom Militär dominierten südostasiatischen Staat, bleibt abzuwarten. In den letzten Jahren verbessert haben sich aber die Möglichkeiten, das ebenso schöne wie arme Land individuell mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erkunden.
Die goldene Pagode von Yangon, die hundert Tempel von Bagan, die Teakbrücke von Mandalay und der Pilgerberg Kyaiktiyo, dazu eine Bootsfahrt auf dem Inle-See und auf dem Irrawaddy-Strom: Das sind die Höhepunkte einer klassischen Rundreise durch Myanmar. Die meisten Touristen absolvieren sie in Gruppen oder mit Privatchauffeur und überwinden die beträchtlichen Distanzen im Flugzeug.
Wer genügend Zeit und Flexibilität hat, kann aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen: Es gibt ausgebaute Hauptstrassen, moderne Busse und luxuriöse Flussboote. Man ist nicht mehr auf die teuren regierungseignen Hotels angewiesen, sondern findet familiäre Gasthäuser. Und am besten schmeckt das billige Essen frisch von einem Marktstand.
Prägender Buddhismus
So erlebt man hautnah das Beste, was dieses Land zu bieten hat: seine Menschen. Ihre spontane Hilfsbereitschaft und das unaufdringliche Interesse sind überwältigend, geprägt von der buddhistischen Forderung nach Mitgefühl und Respekt. (Dass es auch fanatische Mönche gibt, die gegen die muslimische Minderheit hetzen, ist eine andere, traurige Geschichte.)
Die meisten Buben und viele Mädchen hier verbringen einige Jahre in einer Klosterschule und empfinden das als Privileg. Diesen Eindruck hinterlässt eine zeremonielle Tempelübergabe in Mandalay: Dafür hat sich die Grossfamilie prachtvoll verkleidet zum Andenken an Buddhas Abschied von seinem prinzlichen Leben. Ohne eine Träne verlässt ihr etwa vierjähriger Jüngster seine Mutter an der Hand eines alten Mönches. Er weiss, dass er gratis geschult und nie hungern wird, auch wenn er sich sein Frühstück erbetteln muss.
Anders als die zur Touristenattraktion verkommenen Kathedralen Europas, sind hier die Tempel erfüllt von heiterer Frömmigkeit. Versunken beten die Gläubigen mitten im Gedränge oder waschen und schmücken die Buddhastatuen, spenden ein Blättchen Gold fürs Dach. Daneben posieren Pilgergruppen aus den Bergen in lokalen Trachten für den Fotografen, die Frauen und Kinder traditionell weiss geschminkt.
Zugfahrt in die Berge
Die Burmesen machen nur gut zwei Drittel der Bevölkerung Myanmars aus (dies der offizielle Grund für die Namensänderung) . Andere ethnische Gruppen werden seit jeher diskriminiert und wehren sich immer wieder mit Waffengewalt. Das verhindert ein geplantes Trekking in der Bergregion der Shan. Doch die Fahrt in den Nordosten lohnt sich trotzdem.
Anstatt zu nächtlicher Stunde in Mandalay, kann man am Morgen den Zug in Pyin Oo Lwin besteigen, einem von den britischen Kolonialherren geschaffenen Höhenkurort mit nostalgischen Villen und riesigem Botanischen Garten. Gemächlich schaukelt man dann in der bequemen Touristenklasse durch die Berge, geniesst durch die offenen Fenster spektakuläre Weit- und Tiefblicke. Und versucht die ungewohnten Leckereien, die einheimische Frauen an jeder der vielen Stationen anbieten.
Durch die im Abendlicht glänzenden Reisfelder eines Hochtals erreicht der Zug schiesslich das Städtchen Hsipaw, im Moment Endstation für Ausländer. Hier hat das grosse Vollmondfest mit seinem bunten Markt viel Volk aus den umliegenden Dörfern angelockt.
Ihre kunstvollen Holzhäuser bewundern wir auf einer Talwanderung in Begleitung eines lokalen Führers, der wie viele andere für Mr. Charles arbeitet. Der alte Herr, Nachkomme einer christlichen Teehändlerdynastie, beherrscht das hiesige Tourismusgeschäft: Nach der Enteignung durch die Regierung eröffnete er das erste Backpacker Hostel des Landes, baute es aus und ergänzte es durch zwei Hotels sowie eine Trekking-Agentur – alle geführt von seinen Töchtern und dem Sohn, der mir geschickt die Weiterreise zum Inle-See organisiert.
Ein Balancekünstler: Fischer mit Reuse auf dem Inle-See. (Fotos: mlz)
Auf dem Wasser
Im ersten Morgenlicht taucht aus dem Nebel über der weiten Wasserfläche ein Fischer auf, der seinen Kahn stehend mit einem Bein rudert. Diese Balancekünstler gehören zu den Attraktionen des schönen Inle-Sees, der auf keinem Reiseprogramm fehlen darf. Entsprechend zahlreich sind die Touristenboote, überlaufen die schwimmenden Dörfer, vollgestopft mit Souvenirs die Märkte. Allzu beliebt ist auch der Trekk nach Kalaw; einsamer wandert man durch die Hügel rund um den See.
Aehnliches gilt für eine Reise auf dem Irrawaddy: Wer sich gerne unter Einheimischen aufhält, fährt statt auf einem Touristenschiff zwischen Mandalay und Bagan auf einem Lastkahn von Bhamo aus flussabwärts. Im hübschen Uferstädtchen begegnet man den seltenen Fremden mit freundlicher Neugier. Ebenso auf dem Flussboot, auf dessen Deck die Passagiere unter einem Schattendach dicht an dicht campieren. Eine Familie macht Platz auf ihrer Matte, bietet Essen an, versucht ein Gespräch in Englischbrocken.
Langsam zieht die Landschaft vorbei, bei den Stelzendörfern baden Kinder, waschen Frauen, trinken Wasserbüffel. An jedem Halt dauert das Ent- und Beladen Stunden. Einmal bleiben wir gar auf einer Sandbank stecken, denn zur Trockenzeit führt der vielarmige, oft seenbreite Strom wenig Wasser. Zum Glück gibt es ab Katha ein Schnellboot, das zwar gleich langsam fährt, aber nirgends anhält: Passagiere und Verpflegung werden in kleinen Booten längsseits gebracht und mit vereinten Kräften an Bord gehisst.
Mehr Geduldprobe als Abenteuer also – bis auf die nächtliche Ankunft in Mandalay: Hier verbindet nur eine lange, schmale und geländerlose Planke Schiff und Ufer. Ich stehe wie die sprichtwörtliche Kuh am Berg. Da kehrt der Mönch vor mir um, reicht mir die Hand, und rückwärts balancierend bringt er mich trocken ans Ufer. Zu meiner Sicherheit will er mich auch noch zum Guesthouse begleiten. Unterwegs reden wir über die Armut und Repression in seinem Land. Ob wohl nach den Wahlen alles besser wird? „Es gibt Wunder“, sagt der alte Mann in seinem gepflegten Englisch, „aber eher selten.“ Sein Wort in Buddhas Ohr.
Marie-Louise Zimmermann
(erschienen in der Berner Zeitung vom 10.11.2015)