Familienrast auf Alp Flix. (Bild: mlz)
Trotz ihren vielen Naturschönheiten besitzt die Schweiz nur den einen Nationalpark im Unterengadin. Deshalb hat im Jahr 2000 Pro Natura eine Million Franken Starthilfe angeboten für die Errichtung eines neuen Nationalparks. Doch die strengen Auflagen lassen sich in unserem dicht genutzten Land nur schwer erfüllen. So sind von ursprünglich sechs Initiativen nur noch zwei übrig: „Adula“ (mit Greina) in Graubünden hat gute Erfolgschancen, das verkleinerte Tesssiner Projekt “Locarnese“ kandidiert weiter.
Was ist ein Regionalpark?
Regionalpärke sind keine reinen Naturreservate, sondern besiedelte Gebiete mit besonderen landschaftlichen und kulturellen Werten, die es zu bewahren und nachhaltig zu entwickeln gilt. In vielen europäischen Ländern gibt es schon lange erfolgreiche Naturpärke, und auch in der Schweiz hat die Idee nun endlich Fuss gefasst:
Zusätzlich zum 2008 gegründeten Biosphärenpark Entlebuch LU, dem Naturpark Thal SO und dem Naturerlebnispark Sihltal ZH (beide seit 2010) sowie Biosfera Val Müstair (seit 2011) haben anfangs dieses Jahres gleich sieben neue Gebiet das Label „Regionalpark von Nationaler Bedeutung“: Chasseral, Diemtigtal und Gantrisch (alle BE) Gruyère-Pays d’Enhaut FR/VD, Jurapark AG, Binntal VS, Ela GR.
Dazu kommen weitere Kandidaten: Jura Vaudois VD, Doubs JU, Pfynwald und Val d’Hérens (beide VS). So soll schliesslich fast ein Fünftel unseres allzu zersiedelten Landes als Naturpark geschützt werden: ein überfälliger, höchst erfreulicher Schritt!
Basisdemokratische Hürden
Gerade die Randgebiete erhoffen sich als Naturpark mehr Tourismuseinnahmen und besseren Produkteabsatz. Pro Natura wacht aber darüber, dass die jährlich 10 Millionen Franken Bundesbeihilfe nicht vor allem in die Vermarktung fliessen, sondern in erster Linie in den Schutz der Natur. Da das Label nur für zehn Jahre verliehen wird, müssen sich die damit ausgezeichneten Gebiete anstrengen, die berechtigten Erwartungen zu erfüllen.
Der materielle Nutzen ist mancherorts bereits sichtbar: So freut sich der Park Thal über gestiegene Besucherzahlen und die Abnahme regionaler Produkte durch einen Grossverteiler. Und für den ältesten Regionalpark Entlebuch schätzt eine Universitätsstudie eine jährliche Wertschöpfung von drei Millionen Franken!
Trotzdem stösst die Idee eines Naturparks mancherorts auf basisdemokratische Hindernisse, muss sie doch von der ansässigen Bevölkerung gut geheissen werden. Widerstand kommt von verschiedener Seite: Bauern und Jäger fürchten zusätzliche Schutzvorschriften, obwohl solche ausdrücklich ausgeschlossen sind. Und wer am Ausbau touristischer Infrastruktur interessiert ist, will keine Einschränkungen. So ist trotz dem grossen Engagement der Befürworter das attraktive Projekt Hohgant-Thunersee in den Gemeindeabstimmungen leider gescheitert.
Drei neue Regionalpärke seien hier vorgestellt, weitere werden folgen:
In den Voralpen: Naturpark Gantrisch
Den „Gäntu“ muss man Bernern nicht anpreisen: Die unzerstörte Naturlandschaft gehört zu den beliebtesten stadtnahen Erholungsgebieten und ist zum Glück wieder im Postauto erreichbar. Dennoch sind die grossen Parkplätze an schönen Sonntagen übervoll – viele Wanderentscheide fallen eben spontan
An Möglichkeiten mangelt es nicht. Zu den lohnendsten gehört die Tour von der Wasserscheide via Gantrischseeli zum Leiterepass, dann ins Simmental absteigend oder zurück über den Morgetenpass. Während sich der Gantrischgipfel nur Trittsicheren empfiehlt, bieten sich auch von Selibühl, Schüpfenfluh oder Pfyffe spektakuläre Weitblicke.
Diese Aussichtspunkte auf dem bewaldeten Grat sind nun verbunden durch einen bequemen Panoramaweg, 2009 fertig gestellt mit viel Freiwilligenarbeitt. Unterwegs zwischen Berghaus Gurnigel und Zollhaus (mit Abkürzungsmöglichkeiten) kommt man vorbei am Gägger, wo 1999 der Lotharsturm den Bergwald umgelegt hat. Auf einem Holzsteg über dem Gewirr liegender Stämme kann man nun bewundern, wie sich die Natur selber regeneriert (siehe auch Wandern 3/11).
Ein Auge voller Bergblick bekommt man auch auf dem Gürbetaler Höhenweg zwischen Kehrsatz und Mühlethurnen. Und Kinder lassen sich locken auf den Walderlebnispfad und Seilpark Längeney oder den Bienenpfad Mühlethurnen, vor allem aber zu einem Trekking mit Lamas oder sogar Packgeissen.
GUT ZU WISSEN
Der Park: 402 km2, 27 Gemeinden zwischen Schwarzsee-Gurnigel-Schwarzenburg-Belp.
OeV: Postauto Gurnigel, Schwarzenbühl.
Info: www.gantrisch.ch. Broschüre „Entdeckerhandbuch Naturpark Gantrisch“.
Im Berner Jura: Parc Régional Chasseral
Wer den dortigen Rummel an einem Schönwettersonntag kennt, kann sich den Chasseral nur schwer als Zentrum eines Naturparks vorstellen. Doch zu Fuss unterwegs in dem weitläufigen Gebiet, geniesst man die Stille der dunklen Tannenwälder und die helle Weite der Weiden, die mit ihren einzeln stehenden mächtigen Bäumen und den kunstvoll geschichteten Trockenmauern wirklich wie ein Park wirken.
Und die Aussicht über den Dunst des Mittellandes bis zur weiss leuchtenden Alpenkette ist unübertrefflich. Lange kann man sie bewundern auf der Höhenroute zwischen Chasseral und Chaumont. Von kulturhistorischem Interesse ist andererseits der Weg der Täufer. Ihr einstiger geheimer Versammlungsort im Wald und das kleinen Archiv-Museum zeugen von der Geschichte dieser lange Zeit verfolgten Religionsgemeinschaft..
Wer sich mehr freut an Tiererlebnissen, sollte im Frühsommer durch die Schlucht Combe-Grède absteigen, wo sich mit Hilfe eines Fernrohrs ein Gemskindergarten am steilen Felshang beobachten lässt. Und sogar ohne Feldstecher kann man sich an den Murmeltiere unterhalb des Chasseral-Signals ergötzen, die so an Menschen gewöhnt sind, dass sie erst im letzten Moment in ihre Bauten flüchten. Ganz in der Nähe gibt es überdies einen neuen Naturlehrpfad. Und allfälligen Hunger oder Durst stillt man am besten in einer „Métairie“, einer der vielen gemütlichen Alpwirtschaften.
Aussichtswanderung auf dem Chasseral-Grat. (Bild: Parc Régional Chasseral)
GUT ZU WISSEN
Der Park: 380 km2, Kantone Bern und Neuenburg, 29 Gemeinden zwischen Tramelan-Sonceboz-La Neuveville-Cernier.
Oev: Bus ab St.Imier oder Nods auf Chasseral, Funiculaire auf Mont Soleil.
Info: www.parcchasseral.ch. Infobroschüre.
In Mittelbünden: Parc Ela
Weiter, aber lohnend ist die Reise nach Graubünden in den grössten Schweizer Regionalpark beim Piz Ela. Ein Drittel davon ist unberührte Natur, der Rest intaktes Bergbauernland mit schönen Dörfern und einer als Unesco-Welterbe ausgezeichneten Bahnstrecke. Das Gebiet ist wie gemacht für einen Naturpark und musste sich trotzdem durchsetzen gegen den Widerstand der Bergbahnen und der Elektrizitätswirtschaft, die eine Ausbaubeschränkung fürchteten. Den Ausschlag gab schliesslich die Hoffnung, sich besser zu behaupten gegen die übermächtige Konkurrenz der nahen prominenten Tourismusgebiete. „Wir haben nichts, aber davon haben wir ganz viel und diese Chance wollen wir nutzen“, sagte im Abstimmungskampf ein Gemeindepolitiker.
Ideal ist die Gegend für Wanderer, auch für solche, die sich nicht allzu sehr anstrengen wollen oder können. Für sie gibt es zum Beispiel den „Wasserweg“ mit Informationen zu Schwefelquellen und speziellen Insekten oder Amphibien. Er führt von Alvaneu-Bad: entlang der munter sprudelnden Albula hinauf bis ins Schmittertobel und durch den Auenwald am andern Ufer zurück.
Ein anderer Themenweg vom selben Ausgangspunkt nach Surava gilt den Pionieren unter den Pflanzen und Menschen: den Bäumen im Naturwald, den Flechten in höheren Regionen und den nomadisierenden Bergbauern. Kinder mögen den „Holzweg“ in Bergün wegen der vielen Spielmöglichkeiten. Und Botanikfans lieben die Wanderung von Preda Richtung Naz durch artenreiche Wiesen und den eindrücklichen Arven-Lärchen-Wald von God Fallò.
Viele Blumen blühen auch auf der Alp Flix, sogar bis in den August hinein. Die weite Handmulde am Weg zum Julierist das eigentliche Herz des Parks. Wer den Anstieg scheut, fährt mit dem Kleinbus von Sur nach Tgaluca und wandert auf dem Rundweg zu den idyllischen Bergseen. Dort trifft man oft Kinder, die sich auf dem „Forscherparcours“ in Naturbeobachtung üben. Durch sonnige Weiden geht es weiter zum edlen Berghaus Piz Platta, auf dessen Terrasse man zusätzlich zur Aussicht lokale Spezialitäten geniessen kann. Für den Rückweg bieten sich unterschiedlich lange Varianten an: nach Tinizong, nach Marmorera oder zum Julierpass.
Ausser einem Dutzend weiterer Tagestouren locken anspruchsvolle Weitwanderwege: Rund um den Piz Ela, ins Gebiet des Piz Kesch, entlang der Albula-Bahnstrecke, auf Spuren der Walser oder des Malers Segantini und auf dem Kulturpfad „Via Sett“ von Thusis bis Chiavenna (Pauschalangebote mit Gepäcktransport).
GUT ZU WISSEN
Der Park: 548 Quadratkilometer, 19 Gemeinden (v.a. Tiefencastel, Bergün, Savognin, Bivio).
OeV: Rhätische Bahn, Postautos, Bus Alpin.
Unterkunft: Im zentralen Standort Savognin empfiehlt sich das Nostalgiehotel Piz Mitgel.
Literatur: Hansjürg Gredig: Parc Ela (Ott Verlag), Peter Donatsch: Parc Ela (Appenzeller Verlag).
Info: www.parc-ela.ch; www.savognin.ch. Broschüren und Forscherset für Kinder in den Tourismusbüros und Hotels.
Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen im Magazin „wandern-randonner“ 1/2012)