Wanderer ob dem Iffigsee (Bild: zvg)
Naturschutzgebiete sind kostbare Oasen in unserem Land, wo die Zersiedelung auch die Alpentäler nicht verschont. Durch die Annahme der Zweitwohnungs-Initiative hat sich die Schweizer Bevölkerung dagegen zu wehren begonnen; mit welchem Erfolg muss sich aber erst noch zeigen, und vielerorts ist der Schaden längst geschehen.
Solche Gedanken kommen einem zwischen den wuchernden Chalets von Gstaad. Doch lässt sie bald hinter sich, wer im Postauto durch ein Wiesental nach Lauenen fährt. Auch in diesem Bilderbuchdorf stehen zwar Baukräne, dahinter aber beginnt Natur pur mit Blick auf den Tungel- und später den Geltenschuss.
Weitsichtige Vorfahren
Dass es die schönen Wasserfälle noch gibt, ist dem Weitblick der Lauener zu verdanken: 1956 lehnte die Gemeindeversammlung einstimmig das Konzessionsgesuch der Bernischen Kraftwerke ab, den Geltenbach durch einen Stollen in den Sanetsch-Stausee zu leiten. Damit verzichtete die arme Bergbauerngemeinde heroisch auf den Geldsegen der Wasserzinsen!
Im Folgejahr erklärte der Kanton das Geltental zum Naturschutzgebiet. Seinen Kern bildet der zweigeteilte Lauenensee mit der ausgedehnten Verlandungszone voller Moor- und Riedwiesen, eingerahmt von imposanten Felswänden. Geschützt sind auch die Alpweiden von Stiere- und Chüetungel auf dem östlichen Hochplateau.
Dass ein noch viel umfangreicheres Stück herrlicher Alpenlandschaft intakt erhalten blieb, ist dem damaligen Kantonalen Naturschutzinspektor Karl Ludwig Schmalz zu verdanken: Mit diplomatischer Beharrlichkeit gelang es ihm, die Landbesitzer im angrenzenden Lenker Iffigtal ebenfalls vom Schutzgedanken zu überzeugen und mit Hilfe von Pro Natura und Heimatschutz zu entschädigen. So entstand 1969 das mit 43 km2 grösste Berner Naturreservat Gelten-Iffigen, das auch unter Bundesschutz steht. Besonders strenge Bestimmungen gelten für den Lauenensee und das Gebiet Hohberg/Iffighore.
Seltene Blumenpracht
Geschützt bedeutet aber nicht verboten: Das idyllische Iffigtal ist Wanderersleuten frei zugänglich. Vom Bahnhof Lenk empfiehlt es sich, im Postauto am Iffigfall vorbei auf die Iffigenalp zu fahren, anstatt sich selber über das schmale Strässchen hoch zu quälen. Vom Gasthaus steigt man dann erst gemächlich auf gekiestem Alpweg, dann steiler auf gutem Pfad hinauf zum Iffigsee, der sich wie ein blaues Auge in der grauen Felsenlandschaft öffnet.
Im Frühsommer freut man sich dabei an Matten voll weissem Hahnenfuss und goldenen „Ankebälli“, wie die Trollblumen im Dialekt heissen. „Sennechäppi“ nennt man übrigens hier die rosa Glöcklein des Bachnelkwurzes, „Herrgottsstifeli“ die leuchtend blauen Sterne des Frühlingsenzians.
Noch spektakulärer ist die Blumenpracht auf der anstrengenderen Variante über den Hohberg: Von der Alp Groppi kraxelt man erst durch eine Geröllhalde, dann durch lockeren Arven-Lärchenwald. Im „Chesseli“ oberhalb der Felskante überleben nur noch windzerzauste Einzelbäume in einer Zwergstrauchheide voller Alpenrosen und Glockenblumen.
Höher oben sind die Weiden übersät von Purpur-, Feld- und Gelbem Enzian, während in den Felsen Hauswurz und Mauerpfeffer blühen, sogar Edelweiss finden sich hier. Am Iffighore wird die Vegetation dann karger; dafür reicht der Blick weit hinaus ins Simmental und hinunter zum Iffigsee, zu dem man steil absteigt.
Blick auf den Lauenensee (Bild: zvg)
Lohnende Bergwanderungen
Der Hohberggrat ist aber nichts für Trittunsichere! Dasselbe gilt für die ebenso spektakuläre Route vom Betelberg über den Tungelpass zum Iffigsee. Wer zwei schöne Seelein an einem Tag erleben will, wandert vom Iffigsee auf den Stiegelschafberg, dann hinunter über den recht ausgesetzten Hengstensprung zum Chüetungel und über die Walkiweid zum Lauenensee.
Besonders attraktiv für botanisch Interessierte ist ein anderer Uebergang: Auf Treppen durch die Lenker Wallbachschlucht steigt man zum Berghaus Wallegg, dann steil hinauf zum Lochberg. Eindrücklich ist die Moorlandschaft voller Orchideen und Wollgräser am Trüttlisbergpass, ebenso der Blick von der nahen Tube: Bergwärts zum Wildstrubel-Wildhornmassiv, talwärts über die weissen Gipsfelder der Stübleni ins Lauenental, in das man durch Wald und Weiden hinunter findet.
Oder man folgt vom Lauenensee erst dem Bergbach, dann dem Zickzackpfad hinauf durchs Geröll voll Arnika und blühenden Polsterpflänzchen, bis der stiebende Geltenschuss die erhitzten Gesichter kühlt. Von hier ist es nur ein Katzensprung zur gemütlichen Geltenhütte, in der auch Familien willkommen sind.
Mit kleineren Kindern wählt man für die Rückkehr dann besser die Aufstiegsroute, während für Berggewohnte das mit Stahlseilen und Leitern gesicherte Weglein über den Chüetungel ein willkommenes Abenteuer ist.
Weniger Tüchtige geniessen den Rundweg um den Lauenensee. Die Sumpfwiesen schimmern violett von Knabenkräutern, im Schilf nisten Enten und Blässhühner und Amphibien finden hier ein Schutzgebiet von nationaler Bedeutung. An schönen Sonntagen herrscht zwar Grossandrang; doch laut dem zuständigen Wildhüter respektieren die allermeisten Besucher diese kostbare Naturoase – die uns wie durch ein Wunder erhalten geblieben ist.
Gut zu wissen
Wanderzeiten:
Lauenen-Lauenensee:1 h. Seerundweg: 0.45 h. Lauenensee-Geltenhütte-Chüetungel-Lauenen: 4.30 h. Iffigenalp-Iffigsee: 2 h, über Hohberg/Iffighore: 4 h. Betelberg-Tungelpass-Iffigsee-Iffigenalp: 5.15 h. Iffigenalp-Stiegelschafberg-Lauenensee: 5 h. Lenk-Trüttlisbergpass-Lauenen: 5 h (abkürzbar per Seilbahn).
Anfahrt:
Postauto: Gstaad-Lauenen-Lauenensee; Lenk-Iffigenalp. Luftseilbahn: Lenk-Betelberg. PW: gebührenpflichtiger Parkplatz am Lauenensee; Einbahnverkehr Lenk–Iffigenalp.
Führer/Karte:
Barkhausen/Geiser: Wanderführer durch 132 Naturschutzgebiete der Schweiz (Friedrich Reinhardt Verlag/Pro Natura). BEWW Wanderbuch Berner Oberland. LK 1:50’000 Bl. 263 Wildstrubel.
Übernachtung:
SAC-Hütte Gelten: Tel. 033 654 28 84. Frühzeitige Reservation empfohlen!
Marie-Louise Zimmermann
(Erschienen im Magazin „wandern-randonner“ 3, 2012)